Freies Feld

Ein Streit stirbt ; Narratologie vs. Ludologie

Von CÉDRIC WEIDMANN.

Narratologie vs. Ludologie

So heisst der grosse Kampf, dessen Spuren man heute noch findet. Die Sache ist ohne lange Umwege erklärt. Narratologen arbeiten mit narratologischen Mitteln, das bedeutet grösstenteils immer noch: mit literaturwissenschaftlichen Mitteln, Spiele zu betrachten. Sie erklären Spiele hinsichtlich der Geschichte, die diese erzählen. Ludologen befürchten aber, dass damit etwas verloren geht: Wer Spiele auf ihre Geschichte hin betrachtet, vergisst, dass Spiele mehr sind als Geschichten. Dass sie sich in ihren strukturellen Merkmalen wesentlich unterscheiden. Jesper Juul hat sich — neben Gonzalo Frasca — am stärksten für die Emanzipation der Spielwissenschaft von den narratologischen Vereinnahmung stark gemacht. Das Spiel brauche seine eigene Wissenschaft, die Ludologie, die die Mechanismen und simulativen Elemente der Spiele untersucht.

Diese Unterscheidung wird heute immer noch stark gemacht, sie spielt aber eigentlich eine geringe Rolle: Unlängst haben die Forscher begriffen, dass sich die beiden Varianten keineswegs ausschliessen. Und so wenig es möglich ist, das Spiel immer narratologisch zu deuten (Wie will man etwa Tic Tac Toe narratologisch betrachten?), so wenig ist es möglich, es von den Einflüssen literaturwissenschaftlicher Betrachtungen loszulösen.

Argumente der Ludologen

Ludologen begreifen, dass Spiele in ihrer Funktion der Zeit und der Räumlichkeiten, sowie der gesamten Gestaltung von Geschichten anderer Medien ganz verschieden sind. Sie finden, dass das Eigenleben der Spiele weder in Metaphern des Spiels verloren gehen soll wie in “Literatur ist ein Spiel” oder jede “Philosophie ist ein Wortspiel”, noch die Mechanismen ignoriert werden dürfen. Ludologen arbeiten deshalb auch verstärkt mit formalisierenden Methoden wie etwa der Spieltheorie und der Kombinatorik, um der Verwässerung des Untersuchungsgegenstandes verzweifelt entgegenzusteuern.

Für sich sprechen aber vor allem die Beispiele: Vier gewinnt, Tic Tac Toe und Tetris. Wo soll hier die Geschichte sein? Von den Protagonisten, den Zeichen, der Handlung in Videospielen einmal völlig abgesehen.

Argumente der Narratologen

Andererseits sind die Ansprüche narratologischer Forschung nicht unberechtigt. Selbst der Gegner Jesper Juul gibt zu, dass ja eigentlich alles in Begriffen der Narration dargestellt werden könne und so gesehen werde sich auch das Spiel dem nicht entziehen. Und tatsächlich ist die Narratologie ein häufiger Zugangspunkt zu Spielen. Erstens besitzt sie das grösste und fundierteste Instrumentarium, um Kunstwerke zu analysieren. Und zweitens sind Spiele mit Narrationen auffällig eng verknüpft: Es macht dabei einen ernomen Unterschied, ob von “Schere, Stein, Papier” oder von “Schnick, Schnack, Schnuck” die Rede ist, obwohl die Spiele gleich funktionieren. Schere, Stein, Papier versucht die Regeln des Spiels bereits in den Begriffen vorwegzunehmen. Die Wissenschaftlerin Ryan sagt dazu, dass Narration eines der haupttragenden Elemente sei, um die Spieler eintauchen zu lassen und an sich zu fesseln. Das beweisen die schon seit Ewigkeiten bestehenden Short Cuts, die Zwischensequenzen in Videospielen, die die Geschichte vorantreiben. Auch in Formen des Dialogs und mit dem Aussehen der Spielfigur wird hier gearbeitet. Es wird oft gemunkelt, Ballerspiele und Egoshooter würden durch eine totale Abwesenheit von Geschichte geprägt. Das ist aber nicht richtig. Nirgends wird soviel durch die Umgebung als Regeln vordefiniert wie in Ballerspielen. Man braucht bloss die Hände mit dem Maschinengewehr auf dem Bildschirm zu sehen und weiss, die nächste Person, die zu sehen ist, sollte getötet werden. Narration ist also nicht allein das, was während dem Spiel geschieht, sondern auch etwa in den Figuren von Schach zu erkennen. Der König ist die spieltragende Figur. Der Läufer läuft quer, der Springer (oder das Pferd) hüpft gelenkig. Das ist ein Verständnis das über Zeichen, über Kulturgeschichte, Vorwissen und existierende Narrationen erreicht wird.

Synthese

Heute müssen die narratologischen Betrachtungen wohl oder übel akzeptiert werden. Es ist zurzeit der grösste Forschungsschwerpunkt der Game Studies. Das sollte aber Literaturwissenschaftler nicht dazu verleiten, Spiele auf die leichte Schulter und als eine Unterform der Literatur wahrzunehmen, wie sie das mit Filmen relativ ähnlich bereits getan hat. Es wird immer nötig sein, die simulativen, nicht-narrativen Aspekte eines Spiels (und die gibt es immer) herauszuarbeiten. Und dafür werden intelligente Denker immer sorgen.

Dieser Beitrag wurde von Cedric Weidmann geschrieben und am 25. Januar 2013 um 19:48 veröffentlicht. Er ist unter Theorie abgelegt und mit , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

4 Gedanken zu „Ein Streit stirbt ; Narratologie vs. Ludologie

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