Von BAECITYROLLER.
Der Anlass: Resident Evil: Village. Die Idee: FreiesFeld beleuchtet Spiele-Horror in einem ausführlichen Mehrfach-Special. Thema heute: der Plot des Survival Horrors. Thema im vergangenen Juli: Die Grundformel.

3D Monster Maze (1982)
Wo waren wir? Genau. 1982. 1982 erscheint 3D Monster Maze (Malcolm Evans/ZX81), das zeigt, dass das von AX-2 und Alien entwickelte Prinzip auch in dreidimensionaler Darstellung funktioniert und aus der Egoperspektive; hier gilt es, aus einem zufallsgenerierten Labyrinth zu fliehen, ohne von einem Tyrannosaurus Rex gefressen zu werden. Den Saurier sieht man – aus der Ichperspektive folgt das nun einigermassen logisch – nur, wenn man ihn eben sieht. Da man aber, wiederum Egoperspektive sei dank, nicht weiss, wie das Labyrinth aussieht, droht das Konzept von Unbeholfenheit in Hilflosigkeit zu kippen, die Obstruktion in eine Unmöglichkeit. Dagegen wirkt eine Anzeige, die einem in Echtzeit Information über den Tyrannosaurus liefert bzw. über seine Position im Verhältnis zur Spielfigur (FOOTSTEPS APPROACHING). Findet man den Ausgang, erfährt man, dass er nur in ein weiteres Labyrinth führt, worin man wieder dem Dinosaurier entkommen muss; wird man gefressen, erfährt man, dass man dazu verurteilt ist, für alle Ewigkeiten im Labyrinth herumzuirren, und landet zurück im Level. Ein Gesetz? Nein, eine Obstruktion; man kann das Urteil nämlich anfechten, was mit einer 50%-Chance auch gelingt – dann startet das Gerät neu. Wie bei AX-2 ist die Nacht, in der dieser Horror spielt, ganz offen eine Nacht der Technologie, und der Schrecken rührt nicht zuletzt daraus, wie intim der Inhalt mit dem Medium verbunden ist.

Shiryou Sensen: War of the Dead (1987)
Das nächste nennenswerte Ereignis in der Genregeschichte markiert das Erscheinen von Shiryou Sensen: War of the Dead, das wir schon in unserem ersten Artikel erwähnt haben. Veröffentlicht 1987, stellt es den wohl frühesten Vertreter des REP-Paradigmas dar, während die bisher genannten Titel allesamt dem CTP zugehören. Shiryou Sensen ist ein RPG, in dem die SWAT-Agentin Lila die Bewohner eines von Monstern überrannten Dorfs in Sicherheit bringen muss. Im Gegensatz zu den in jeder Hinsicht kargen Settings der bisherigen Beispiele, gestaltet Shiryou Sensen seine Welt durchaus detailliert und kleidet sie mit einer Story aus, die einen erheblichen Beitrag zur unheimlichen Atmosphäre leistet. Nicht nur haben die Charaktere, von denen es verschiedene gibt statt nur einen bzw. zwei, Namen, sondern auch Hintergrundgeschichten, es gibt Dialoge, und die Ereignisse des Games werden in einem eigentlichen Plot miteinander verbunden – Erträge der RPG-Gattung, aus der sich Shiryou Sensen eben auch speist. Ebenfalls im Gegensatz zu den bisherigen Beispielen ist die Hauptfigur bewaffnet, und zwar, aufmerksame Leser:innen des ersten Artikels werden es wissen oder sich ausdenken können: mit Schusswaffen. Das ermöglicht dem Game, die ganz und gar nicht so knappe Informationslage (spätestens am Ende des Games weiss man eigentlich alles) mit einer anderen Knappheit auszugleichen, auf einer anderen Ebene eine Obstruktion einzuführen, und zwar just jene, die das Untote Spieldesign ausmacht: Munition ist nämlich quälend knapp bemessen, und überhaupt ist das Inventar sehr klein. Wiederholte Suchgänge und ein komplexes Lagersystem sind also unumgänglich, und machen einen ansonsten glatten Spielablauf auf just jene Art umständlich, die die Furcht und also die Immersion steigert.

Sweet Home (1989)
Während Shiryou Sensen in mancherlei Hinsicht sehr tastend wirkt, wie auf der Suche nach dem Game, das es sein möchte (und auch nach dem Genre, in dem es sich gerne befände: Horror? Action? Fantasy?), ist das 1989 erschienene Sweet Home (Capcom/Family Computer; original: スウィートホーム) schon so konsequent durchgearbeitet, dass es nicht ohne Grund von manchen Quellen als das allererste Survival-Horror-Game bezeichnet wird. Wie Shiryou Sensen, ist auch Sweet Home ein RPG, wie AX-2 steht es in relativ direkter Verbindung zu einem Film: Kiyoshi Kurosawas gleichnamigem Film von 1988. Hier gilt es, als fünfköpfiges Dokumentarfilmteam in einer mysteriösen Villa Puzzles zu lösen, ohne von den vielfältigen und -zähligen Monstern getötet zu werden. Sweet Home führt eine ganze Reihe von Elementen ein, die für das REP bestimmend werden: Neben der knallharten Knappheit der Ressourcen wären da die labyrinthische, aber durchaus sinn- und planvoll aufgebaute Villa samt riesigem Garten, die das Setting bildet; der Schnitt zu einer Tür als Ladebildschirm, zu dem Moser ebenfalls schon alles Entscheidende gesagt hat; die Begeisterung für Kunst und Wissenschaft des 19. Jahrhunderts; das professionelle Team als jene, die mit dem Horror in Berührung geraten; die Art, die Story durch herumliegende Dokumente, insbesondere Tagebucheinträge und Akten, zu erzählen; schliesslich die je nach Spielverlauf unterschiedlichen Enden. Das Untote Spieldesign ist grossartig umgesetzt, weil die Spieler:innen nicht nur entscheiden müssen, welche Items sie in ihre begrenzten Inventare aufnehmen, sondern auch, mit welchen Mitgliedern der ursprünglich fünfköpfigen Gruppe sie welche Aufgabe lösen wollen, denn nicht nur haben diese unterschiedliche Fähigkeiten, sondern auch Permadeath: Stirbt eine Figur, ist sie für den Rest des Games tot – und nimmt ihre spezifischen Fähigkeiten mit ins Grab. Gewiss: Es gibt spezielle Items, die den Dienst jener Charakterfähigkeiten auch tun; aber diese brauchen besonders viel Platz im Inventar. Ökonomie? Tell me about it.

Alone in the Dark (1992)
1992 erscheint Alone in the Dark (Infogrames/MS-DOS). Das Game führt zwei der liebsten Obstruktionen des Genres ein, tank controls und fixe Kamera bei tendenziell unübersichtlichen Architekturen, und setzt, ebenfalls extrem einflussreicherweise, polygonale Spielfiguren in vorgerenderte Hintergründe. Es spielt, wie Sweet Home, vollständig in einer Villa, auch hier sind diverse Puzzles zu lösen und Gegner seltener zu besiegen als auszuweichen, auch hier ist das Inventar eng. Hinsichtlich seiner technischen Innovationen ist die Relevanz dieses Games für das Genre kaum zu überschätzen, zugleich fristet der Titel ein gewisses Nischendasein, bleibt, wie sein Titel es ankündigt, ein Stück weit alleine in einem unguten Dunkel; die Marke erreicht nie den Ruhm (und die Verkaufszahlen) der Konkurrenz, obwohl diese sich in vieler Hinsicht mehr denn üppig bei Alone in the Dark bedient. Der Grund dafür mag in der Ambition liegen, vom Genre nie wieder aufgegriffen, einen stark europäisch-literarisierenden Plot anzulegen, voll von Verweisen auf die (Schauer-)Literaturgeschichte und mit einer Einbettung der Spielhandlung in das Lovecraft-Universum. Einmal hilft ein solcher Schachzug wohl nicht unbedingt in einer Gattung, die von Japan dominiert und durchaus auch mit hegemonialen Ansprüchen verteidigt wird. Dieser Aspekt ist gewiss nicht zu unterschätzen, gewichtiger scheint uns aber ein anderer: Mit seinen starken Anleihen an literarische Vorlagen importiert Alone in the Dark eine ganz andere Auffassung von „Plot“ als die bisher behandelten Titel, sowie, vor allen Dingen, die drei erfolgreichen, d.h. bestimmenden Paradigmen sie unterhalten. Im Grunde organisiert Alone in the Dark seine Handlung wie ein klassischer Roman des 19. Jahrhunderts, mit einer kontinuierlichen, linearen Richtung, mit einer Erzählstimme, die einen am Anfang empfängt und stetig in Richtung eines Endes führt, um sich dort – und erst dort – zu verabschieden; wie wenn jemand – und nur jemand – am Lagerfeuer aus einem Buch vorläse. Plot ist für Alone in the Dark gleichbedeutend mit Story.
Nun ist das aber exakt nicht die Auffassung, die sich die grossen Paradigmen von Plot machen. REP, SHP und CTP verstehen Plot nämlich so wie etwa im Ausdruck ‚a plot of land’, das heisst: eher räumlich als zeitlich, flächig eher denn linear. Alone in the Dark gibt sich relativ grosse Mühe, die Elemente seiner Handlung verständlich zu verknüpfen, zu zeigen, warum der Weg von A nach C notwendig über B führen muss, wohingegen REP, SHP und CTP sich mit einem unübersichtlichen Nebeneinander der Handlungselemente weitgehend zufriedengeben (für das SHP gilt das nur bedingt, wie wir zeigen werden). Wenn Alone in the Dark einen Bezug auf früher Geschehenes einbaut, hilft das dem Verständnis, lässt etwas klarer werden, bringt es uns der Auflösung der Story näher; wenn etwa Resident Evil einen Bezug auf früher Geschehenes einbaut, hat man zwar mehr Info, ist aber tendenziell verwirrter als vorher, weil die Begriffe ‚früher’ und ‚später’ in der flächigen, zeitarmen Logik des REP keinen hilfreichen Sinn machen. Dieser Unterschied – zwischen plot als Story und plot als Gebiet und Grundriss – scheint ein pedantischer, aber er ist wichtig, hier, bei Survival Horror, wo sich die Spielmechaniken zwingender mit den Prinzipien des Horrors zu vereinen haben. Denn Alone in the Dark spielt zwar (vorwiegend) in einem verwinkelten, unübersichtlichen Herrenhaus, benutzt diese Architektur aber, um einen roten Faden durch sie hindurchzuziehen; die Linearität der straightforward erzählten, literarisch gut gemachten Schauergeschichte verwandelt das Labyrinth des Games quasi rückwirkend in einen Tunnel.
Wie wir sehen werden, geht das auch ganz anders. Halten wir an dieser Stelle – just, bevor wir in die drei ‚grossen’ Titel einsteigen und damit in dasjenige, was man verschiedentlich als das goldene Zeitalter des Survival Horror bezeichnet hat – fest, dass wir damit drei wuchernde Landschaften betreten, nicht lineare Storys, sondern Gebiete, die sich in alle Richtungen obszön, undurchsichtig, und widersprüchlich ausdehnen. Subplots, Pre- und Sequels, Reboots und Remakes, Neu- und Überschreibungen bestimmen die grossen Survival-Horror-Titel der 1990er, die entsprechend auch allesamt zur Franchise tendieren (zur marktwirtschaftlichen Projektion des narrativen Wucherns – wie war das mit der Verschränkung der Mechanismen?). Vermutlich hat die aussergewöhnliche Betonung einer Flächigkeit des Plots, die Tendenz zur horizontalen eher denn linearen Ausdehnung, diesen Games dabei geholfen, Paradigma zu werden (das wir ja als Zusammenhang eher denn als Erzählung definiert haben), aber sie muss auch Konsequenzen haben für die Methode, mit der man sich ihnen annähert. Für den wahrscheinlich berühmtesten Titel hat Moser bereits eine Warnung ausgesprochen:
Daher wäre es vielleicht überhaupt falsch, hinsichtlich Plot und Figuren bei den Resident Evil-Games von einer «Entwicklung» zu sprechen (ergo wie es die ganzen «The Evolution of …»-Resident Evil-Videos auf YouTube versuchen.) Wie […] verdeutlicht, führt der stete Eingriff ins «Ergbut» der Serie zuweilen dazu, dass auch der bereits bestehende Plot und die Figuren plötzlich neu gelesen werden müssen, weil sich der Bauplan des Organismus verändert hat.
Um eben solche Baupläne wird es uns gehen, weil wir behaupten, dass gerade sie die Plots (im Sinn von Grundriss und Gebiet) ausmachen – keine völlige Überraschung vielleicht, angesichts dessen, dass die frühesten von uns besprochenen Games, von AX-2 bis zu Monster Maze 3D, angesichts fehlender Story ihr Spielgefühl, ihren ‚Gehalt’ wenn man so will, vornehmlich aus ihrem Leveldesign schöpfen, aus Fragen von Sichtlinien und Obstruktionen, Räumen und Korridoren, von Nähe und Ferne (FOOTSTEPS APPROACHING). Diese Identifikation des Plots mit dem Gebiet ist etwas, was die bestimmenden Titel des Genres nie ganz ablegen. Clock Tower, Resident Evil, und Silent Hill sind alle drei stark bestimmt davon, und das vielleicht insbesondere in ihrem ‚klassischen’ Zeitalter, das heisst in den mittleren und späten 1990ern.
Wenn wir uns im Folgenden dieser Ära und diesen drei Titeln widmen, dann werden wir ihnen zwar die ausführliche Aufmerksamkeit zukommen lassen, die sie – als stilprägende Werke – verdienen, zugleich aber wenig Mühe darauf verwenden, ihre Storys detailliert nachzuerzählen oder der Chronologie ihrer einzelnen Titel übermässiges Gewicht zuzusprechen. Für unsere Zwecke spielt es beispielsweise keine besondere Rolle, ob wir über Resident Evil 3: Nemesis oder über Resident Evil – Code: Veronica sprechen; oder über die Frage, dass ersteres 1999, zweiteres 2000 erschienen ist; keine grosse Rolle, ob wir mit Resident Evil den Titel von 1996 oder den von 2002 meinen, denn die Mechaniken des Bauplans ‚Resident Evil’, und um nichts anderes geht es uns, werden nicht in den linearen Unterschieden einer Entwicklung liegen, sondern in einem dynamischen Arrangement von Designelementen, das Mutationen so schnell produzieren wie zurücknehmen kann, dabei aber bestimmten produktiven Regeln folgt: ihrem Grundriss, ihrem Plot.
Ist das noch verständlich? Wahrscheinlich nicht mehr. Sagen wir es also einfacher, indem wir – etwas grausamerweise – Alone in the Dark noch einmal als Gegenbeispiel nehmen: Alone in the Dark, mit seiner schauerliterarischen Auffassung von ‚Plot’, organisiert das Verhältnis von Story zu Raum so, dass erst die Story effektiv, also schlüssig, spannend usw. gebaut wird, um sich dann die Frage zu stellen, was für Räume diese Story benötigen wird – und sie ihr zur Verfügung zu stellen. Erstrangig ist hier also die Story, die eben ihre (von ihr) bestimmten Schauplätze benötigt. Alone in the Dark ist literarisch gut gemacht, und gerade darin das Gegenteil dessen, was den erfolgreichen Survival Horrror ausmacht, nämlich, dass jener ‚Plot’ ganz anders begreift: Hier werden Räume möglichst ‚gut’, also effektiv, gebaut, um sich dann die Frage zu stellen, was für eine Story diese Schauplätze überhaupt noch erlauben. So wie die literarische Auffassung von Plot (mit ihrem Primat von Erzählung) sich sicher ist, dass sie auch schlecht gebaute Räume mit einer guten Erklärung kompensieren können wird, ist die Survival-Horror-Auffassung von ‚Plot’ (mit ihrem Primat von Raum) sich sicher, dass sie auch schlecht gebaute Storys mit einer guten Architektur kompensieren können wird. Einmal gilt Plot=Story, einmal gilt Plot=Grundriss. Bei Alone in the Dark wird man sich an eine gekonnte Wendung in der Erzählung erinnern, bei Silent Hill an die Stimmung eines Raumes.
Nun aber zu den Beispielen, die diesen ganzen abstrakten Überlegungen endlich das faulende Fleisch an die Knochen kleben sollen.
Das Horror-Special auf FreiesFeld: Die Artikel im Überblick
- Survival Horror IV: Resident Evil (Camera Lucida)
- Survival Horror III: Footsteps Approaching (liest Du gerade)
- Survival Horror II: Das A und das O
- Survival Horror I: Drei … Paradigmen
- Mutiertes Erzählen
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