Von CÉDRIC WEIDMANN.
- God Games EINS ; Halbgötter in Schweiss & die Hand Gottes
- God Games ZWEI ; Die Visible Hand & das Us-Suffix (Populous, Reus, Godus)
- God Games DREI ; Fortschritt, Evolution und Zeit
Im zweiten Teil der Reihe zu God Games haben wir gesehen, dass der Cursor der unauslöschliche Makel dieser Spielgattung ist: Er gehört nicht in den Magic Circle des Spiels und will doch in ihn eingreifen. Der göttliche Hand will sich zum Verschwinden bringen, dadurch wird aber auch die spielende Göttin entmachtet. Heutige God Games beschränken sich auf die Veränderung der Topographie. Ist das noch ein «influence on a large scale», wie ihn die Definition von God Games verlangt? Darum geht es im dritten und letzten Beitrag dieser Reihe.
Evolution spielen: Der Spieler darf der Zufall sein

Engel!? Fliegende Wale! (Impossible Creatures)
Landschaften mit einem Klick zu verändern, das ist Macht. Minecraft, Godus, Reus, (die Naturkatastrophen in) Sim City, Populous und viele weitere Games zeigen beispielhaft, wie göttliches Eingreifen aussieht. Die Umwelt beschränkt sich allerdings nicht nur auf Unbelebtes.
Impossible Creatures (2002) ermöglichte es dem Spieler, Tiere genetisch zu mischen, sie zu neuen Spezies mit eigenen Fähigkeiten heranzuzüchten. Versuche, die darwinistische Evolutionstheorie als Grundlage zu nehmen, haben eine längere und beachtenswerte Spieltradition, auf die ich hier nicht näher eingehen kann: SimLife, E.V.O., Spore richten das Gameplay auf die Evolutionstheorie nach Darwin aus.
Also Darwin und Götterspiele? Klingt aus der einen Richtung wie eine unnatürliche, aus der anderen wie eine unheilige Verbindung. Gerade diese Mischung zeigt aber die Paradoxie der God Games: Der ‘Gott’ braucht eine Hilfestellung, um sich mit Vorrechten auszustatten, und verliert damit wiederum, im Kleinen oder Grossen, Vorrechte. In der Evolutionstheorie stellt sich das als wenig problematisch dar. Aber wie sieht es aus, wenn es mit der Menschheit und ihrer Entwicklung zusammenspiel? Der Grossteil der God Games stellt eine Population von Menschen (ein ‘Volk’) als einzelner Held dar, dessen Entwicklung der Spieler unter die Arme greifen muss. Götter leisten Entwicklungshilfe.
Aber warum machen sie das und was heisst Entwicklung? Wie sind die Begriffe ‘Fortschritt’ und ‘Geschichte’ in diesen Spielen überhaupt zu verstehen?
Historie und Fortschritt
Beginnen wir mit einem Zitat zur Geschichtsphilosophie in Bioshock:
«Bioshock presents itself as validating counterfactual, anti-historical determinism with these ludic choices because when players are exercising their «free will» they are not privy to the «infinite chain of causation» (Ferguson 1999, p. 37)» (Lizardi, Bioshock: Complex and Alternate Histories)
Die Möglichkeiten die Story zu ändern, indem man sie erneut spielen kann und durch seine moralischen Entscheidungen verschiedene Wege einschlägt, betrachten Ferguson und Lizardi als eine progressive Konzeption von history und vergleichen sie mit den alternativen Vergangenheiten, die die Science Fiction teilweise beschreibe.
Na ja… Sie machen es sich zu leicht. Wie wir auf Freies Feld (The Walking Dead und die Grenzen der Entscheidungsfreiheit) schon gezeigt haben, sind die vermeintlich grossen Entscheidungsmöglichkeiten des Spielers in der Regel sehr beschränkt. Der Trick dieser Games liegt lediglich darin, dass eine Illusion von Entscheidungen aufgebaut wird, um diese als Spielmechanismen zu nutzen. Mitnichten lässt sich da der Sprung zu einer ‘gegenläufigen Geschichtsschreibung’ wagen.
Natürlich ist es wahr, dass in Spielen wie Bioshock und, noch deutlicher, in Strategie- und Aufbauspielen die Vorstellung einer deterministischen Historie ausgehebelt und durch Narrative aufgebrochen wird (Bioshock spielt mit dem historischen Setting und den Ideologien der 50er-Jahre und bricht sie ironisch). In der Tat sind manche Spiele geradezu begnadet darin, ihr Setting in die Geschichte einzubetten. So wird etwa das Konzept der longue durée, die unverändert bleibt (in der Total War-Reihe wird nach einer bestimmten Anzahl Runden eine neue Technologie entdeckt oder fallen die Mongolenreiter Dschingis Khans in Europa ein — unabhängig von den Entscheidungen der Spielerin), dem Konzept der moyenne durée, die durch das Geschick der Spielerin beeinflusst werden kann, gegenübergestellt. Diese Virtuosität bedeutet aber noch nicht, dass das Spiel das gesamte Geschichtsverständnis — die Idee von unweigerlichem Fortschritt und den Glauben an die Linearität der Geschichte — über den Haufen wirft. Sie zeigt vielmehr, unter welchen ideologischen Voraussetzungen es arbeitet.
Die Ideologie der Aufbauspiele
Das sei in der Hauptsache der «technological determinsm» («the belief that social progress is driven by technological innovation, which in turn follows an ‘inevitable’ course»), wie Tuur Ghys in seinem überragenden Paper «Technology Trees: Freedom and Determinism in Historical Strategy Games» nachweist, zum Teil, indem er die Beschreibungen in den Spielanleitungen anschaut («Tools and other technologies are cumulative in nature», behauptet etwa Age of Empires rundheraus), zum Teil, indem er die Tech Trees akribisch analysiert und so zeigt, welche Vorstellung von Geschichte und Fortschritt den Games zugrunde liegt.
«To get an idea of what this deterministic orders implicate, it is worthwhile to look at the chains of necessity beyond the next step, for instance with mysticism in Civilization IV: mysticism is required for meditation; meditation is required for philosophy; philosophy (or divine right, which also needs mysticism) is required for nationalism; nationalism for constitution; constitution for corporation; corporation for replaceable parts; replaceable parts for industrialism; industrialism for plastics and plastics is required for robotics. No robotics without mysticism?»
Das ist der Verlauf des technological determinism, einer Vorstellung, die unter Historikern sehr umstritten ist. Teilweise gibt es hier aber ausgefeilte Formen. Zum Beispiel braucht man in Civilization IV für Umweltschutz zuerst Plastik zu entwickeln. Eine scheinbare Widersprüchlichkeit, die der Entwickler Soren Johnson mit einer «cause-effect relation» begründet. «For example, plastics led to a boom in disposable items, which eventually made people more sensitive to how wasteful we are as a civilization.»
Ich spreche nun von Simulations- und Aufbauspielen. Was hat das mit God Games zu tun?
Es veranschaulicht, was es bedeutet, dass ein God Game auf diese hilfreichen Mechanismen und die Vorstellung eines technological determinism verzichten muss! Warum muss es das? Bereits konzeptuell: Es ist bemerkenswert, dass in Ghys’ Untersuchung nur eine Technologie in allen betrachteten Spielen vorkommt: Der Monotheismus — also Gott. Die Entwicklung des Monotheismus ist für die Ideologie des kulturellen Fortschritts von AoE, Civilization IV, Rise of Nations usw. unverzichtbar. Gott muss erfunden werden, es braucht ihn, damit die Technologie ihrer unaufhörlichen Kette von Verbesserungen und Erfindungen folgen kann. Gleichzeitig ist dieser Gott dem Konzept des technological determinism völlig unterstellt. Ein solcher Gott kann das Spiel nicht mehr in einem large scale beeinflussen. Er ist lediglich eine Erfindung in ihm — allerdings eine, auf die kein Tech Tree verzichten kann. Das ist erneut die Paradoxie des Verschwinden-Wollens des Gott-Spielers.
Prima Causa
Wie wir gesehen haben, können Aufbau- und Strategiespiele einen lockeren Umgang mit der Lineartität der Historie, die im Hintergrund bereits aufgezogen ist, haben. Mit ihr können sie verspielte Verbindungen eingehen, die sie jederzeit wieder auflösen, ausdehnen, oder umkehren können. Die longue durée, die grossen Ereignisse, stehen fest, und in kleineren Ereignissen, einzelnen Eroberungen und Annexionen, lässt sich die moyenne durée durch die Spielerinnen beeinflussen. Die strenge Richtlinie der philosophischen Voraussetzung ermöglicht den Strategiespielen eine gewisse Kreativität.
Für God Games liegt die Sache mit der Historie nicht so leicht. Sie greifen nicht in eine Kette von Ursache und Wirkung ein, wie ein Fliessbandarbeiter, der sich ein Produkt besieht, einzelne vom Band nimmt und neue hineinstellt. Vielmehr sind sie ständig die Verursachung und müssen, zumindest konzeptuell, oberstes Prinzip der Verursachung darstellen. Sie wählen den Weg des Fliessbands. Gäbe es eine lineare Geschichte, die ihre klaren Ziele hat, dann wäre ein Gott, ein böser wie ein guter, völlig überflüssig. Die Linearität der Historie, die soviele Strategiespiele als gegeben annehmen, taugt nicht für das Konzept des Gotts, denn er ist nicht an eine Linearität gebunden.
Keine Zeit!
In letzter Konsequenz bedeutet das, dass es in God Games keine Zeit gibt. God Games spielen in einem zeitlosen Raum, der erst und nur durch die Berührung der göttlichen Hand mit dem Magic Circle einen Ablauf — eine Zeit — erhält. Godus ist ein Beispiel dafür. Man kann reglos verharren und es wird nichts passieren. Die Spielerin ist nicht unter Zeitdruck. Das Volk stirbt nicht, es wächst nicht, nur die Musik, das Meeresrauschen und der Wind, sind zu hören, bis er sich zur nächsten Handlung herablässt. Erst wenn die visible hand Länder abträgt oder aufschüttet, bewegen sich die Menschen, bauen neue Häuser und expandieren.
Die Schwierigkeit des God Games ist noch stärker als jene der Simulation (den Unterschied zwischen den beiden haben wir im ersten Teil behandelt): Es hat keinen Zweck in sich. Auch eine Simulation hat keinen Grund zu existieren, wenn nicht ein Team von Wissenschaftern sie später analysieren und ihr nachträglich einen Sinn verleihen will. Die Simulation hat keinen Endpunkt und in vielen Fällen ist es schwer zu begründen, warum man gerade an diesem oder jenem Punkt mit der Simulation begonnen hat. Das God Game muss in jedem Fall auf beides verzichten. Gerade die Definition — «influence on a large scale» — macht den influence eigentlich völlig unattraktiv. Wenn man diesen Einfluss haben wollte, könnte man auch sein eigenes Spiel programmieren (aber das ist noch kein Game für sich). Folglich gibt es auch kein Konzept von Geschichte, keine Idee von longue und moyenne durée, keine Meinung zu Linearität und Kausalität. Die Spiele versuchen etwas zu simulieren; warum, das kann das Spiel — nicht bei Godus, nicht bei Reus, nicht bei Populous — aus sich selber erklären: Es sei denn, es ginge immer darum, die Menschheit zu retten. Weshalb nur sollte ein God Game die Menschheit retten?
Es gibt keinen Grund und deshalb keine Entschuldigung, ein God Game zu spielen. Vielleicht kann man sie gar nicht spielen: Sie wollen doch eigentlich verschwinden.
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Hat dies auf Quappe und die Welt rebloggt und kommentierte:
„Es gibt keinen Grund und deshalb keine Entschuldigung, ein God Game zu spielen. Vielleicht kann man sie gar nicht spielen: Sie wollen doch eigentlich verschwinden.“
Der dritte und letzte Teil zu Götterspielen.
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