Von JÁNOS MOSER.
Das Entwicklerstudio Quantic Dream und David Cage wurden hier schon vorgestellt. Cages neuster Streich, Beyond: Two Souls, macht da weiter, wo Heavy Rain zuvor aufgehört hat, und ist wieder ein Spiel der etwas anderen Art. Das Dekret „Film-Spiel“ würde es irgendwie umschreiben, dem Game aber wohl doch nicht ganz gerecht werden. Warum das so ist und weshalb man sich Beyond: Two Souls auf jeden Fall einmal ansehen sollte, erfährt man hier.
Geister und CIA
In Beyond: Two Souls schlüpft der Spieler in die Rolle von Jodie Holmes („gespielt“ von Ellen Page), die seit ihrer Geburt mit einer „Gabe“ gesegnet ist. Sie lässt Gegenstände herumfliegen, steuert Menschen nach ihrem Willen und manipuliert Geräte per Telepathie. Nun, das ist per se nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig: denn über diese Fähigkeiten verfügt eigentlich nicht sie selbst, sondern Aiden, ihr imaginärer Freund. Dieser ist durch eine Nabelschnur mit ihr verbunden und gehört der „Infrawelt“ an, ein anderer Name für das Totenreich. Allein Jodie ist in der Lage, mit Aiden zu kommunizieren. Klar, stösst so etwas auf das Interesse des DPA, dem Departement of Paranormal Activities. Bei Pflegeeltern aufgewachsen, weckt Jodie bald die Aufmerksamkeit von Nathan Dawkins, einem DPA-Mitarbeiter, der sie in seine Obhut nimmt. Das kleine Kind lässt unzählige Tests über sich ergehen und führt ein abgeschottetes Leben auf dem DPA-Gelände. An diesem Punkt setzt auch die Geschichte ein: Wir beobachten Jodie dabei, wie sie mithilfe von Aiden eine Anzahl Karten errät, welche eine zweite Testperson in einem abgetrennten Raum hochhält. Aidens Temperament macht dem Experiment darauf einen Strich durch die Rechnung, er beginnt zu wüten und zu toben, und die Testperson kommt gerade nochmals mit dem Leben davon. Damit ist der Grundtenor für die folgenden zehn Stunden Spieldauer gelegt. Der unberechenbare Aiden und die nicht weniger komplizierte Jodie bringen sich fortlaufend in Schwierigkeiten. Ihre Arbeit bei der CIA, die sie für sich instrumentalisieren will, endet in einer Katastrophe, und auch die Infrawelt selbst kommt nicht gut weg. Zu erwarten hat der Spieler dabei – und das ist vielleicht eine Schwäche des Spiels – keine fortlaufende Geschichte, sondern episodenhaftes Erzählen. Mal begleiten wir Jodie als Soldatin durch den Nahen Osten, mal im Kinderzimmer oder bei einer Geburtstagsparty. Der Zeitstrahl, der über den Ladebildschirm flimmert, will den Zusammenhang wahren, entpuppt sich aber als eher dürftige Hilfe. Man wird von einem Setting in das nächste gerissen, bisweilen im Viertelstundentakt, und hat Mühe, die Ereignisse zu ordnen. Schade: gerade bei der Story, dem Kernstück von Beyond: Two Souls, verschenkt Quantic Dream so ein paar unnötige Punkte. Dennoch überwiegen die Stärken: Szenen wie z.B. das Leben unter Obdachlosen im Winter hat man so intensiv noch nie in einem Videospiel gesehen und berühren einen durch die fantastische Inszenierung unweigerlich.
Doppelteam
Wie schon gesagt, sind Aiden und Jodie ein Team, im Schlechten wie im Rechten. Der Spieler übernimmt deshalb die Kontrolle über beide Charaktere, wenn er nicht gerade von einer Cutscene hingehalten wird. Jodie steuert sich mehr oder weniger wie eine gewöhnliche Spielfigur, leider etwas hakelig, aber annehmbar. Der Clou kommt mit Aiden ins Spiel: Da er ein Geist ist, kann er durch Wände und Decken fliegen und Gegenstände und Menschen manipulieren. Die Eingaben sind dabei, wie auch die von Jodie, manchmal etwas gewöhnungsbedürftig, funktionieren aber, da man immerhin fast nie unter Zeitdruck ist. Man nimmt Besitz von Personen, schaltet Kameras aus oder stösst Hindernisse aus dem Weg, um Jodie den Weg freizumachen. So vielfältig die Möglichkeiten sind, so begrenzt ist Aidens Aktionsradius; zumeist ist auch nur eine bestimmte Aktion an einem bestimmten Zeitpunkt möglich, was dem Game viel vom spielerischen Element nimmt. Der Fokus liegt klar auf der episodenhaften Geschichte. Diese ist durch Jodies Entscheidungen zu beeinflussen: verhält sie sich Nathan gegenüber aggressiv oder zuvorkommend? Bestellt sie für ein Date lieber eine Pizza oder kocht selbst? Fragen wie diese lockern die Cutscenes immer mal wieder auf und sorgen dafür, dass man nicht apathisch vor dem Bildschirm sitzt. Von den vorgegebenen Pfaden weicht man so auch nicht wirklich ab, aber Spass macht immerhin die Illusion der Entscheidungsfreiheit (siehe The Walking Dead).
Das Spiel für Nichtspieler
„Ich spiele oft Videospiele“ – „Ich spiele selten (oder nie) Videospiele“. Das Auswahlmenü zu Beginn des Games macht es deutlich. Beyond: Two Souls will nicht mehr wirklich Spiel sein. Wie schon Heavy Rain ist David Cage das perfekte Kunstwerk für Spieltheoretiker und Kellerkind-Intellektuelle (oder intellektuelle Kellerkinder) gelungen, welche die Videospielwelt endlich aus dem Sumpf von Geballer und Brüsten, von Gewalt und Klischee ziehen wollen. Die Frage ist bloss: ist es denn noch die Videospielwelt, die hier gerettet wird, oder ist Beyond: Two Souls etwas anderes, eine Mischung aus Spiel und Film, die Elemente beider Seiten aufweist, aber weder Fisch noch Vogel ist? Videospielhistorisch sind die Games von David Cage nicht ganz so abseitig, wie man sich das vorstellen könnte. Schon früher gab es Versuche, das Medium Videospiel aufzurütteln und neu zu definieren, etwa mit Dragon’s Lair oder sogar Desert Bus. Die Konsole 3DO etwa arbeitete teilweise mit aufwendigen Videosequenzen. Klar: von einem trashigen Plumbers Don’t Wear Ties ist Beyond: Two Souls schon meilenweit entfernt, trotzdem scheint es manchmal, als sei man noch keinen Schritt weitergekommen. Die gross angelegte Geschichte geht hier wie schon so oft auf Kosten des Spielers, der sich zwangsläufig bevormundet fühlt und sich wie Aiden am liebsten von der Nabelschnur losreissen möchte.
Fazit
Beyond: Two Souls zeigt uns, wie Videospiele in Zukunft aussehen könnten und ist deshalb schon einen Blick Wert: endlich keine (oder fast keine) Klischees mehr, tiefgründige Charaktere und ernstzunehmende Handlung. Die Ausführung kleiner Tätigkeiten wie das Bestellen einer Pizza, das Absolvieren eines Parcours ziehen an manchen Stellen wunderbar und beispiellos in die Geschichte rein, an anderen Stellen schleppt sich die Handlung deswegen zäh dahin (vor allem in der Spielmitte). So sieht die Zukunft aus: für David Cage und sein Team, vielleicht auch für andere, die ihm folgen werden. Das ist beileibe nichts Schlechtes; nur bekommt der eine oder andere nach diesen zehn Stunden wieder Lust, einfach mal mit Mario auf einen Koopa zu hüpfen.
Pingback: Cineastische Spiele | Freies Feld