Von CÉDRIC WEIDMANN.
Ups, Pech gehabt. Leute haben entdeckt, dass Spiele eine pädagogische Wirkung haben — und jetzt benutzen sie es, um uns zu quälen! So, oder ähnlich, könnte man aufschreien, wenn man das erste Mal von »Serious Games« hört. Doch was steckt wirklich hinter dem Begriff?
Meine 3 Kategorien von Serious Games
Serious Games ist der Begriff von Entwicklern: Sie bezeichnen damit (Video)spiele, die sich durch etwas anderes als reinen Unterhaltungswert auszeichnen wollen. Diese Spiele können dazu da sein, soziale Interaktion zu fördern, sie können aber auch missionarisch eingesetzt werden, um Menschen zu bekehren. Tatsächlich hat man krebskranke Kinder ein Spiel spielen lassen, bei dem sie Krebszellen erschiessen mussten — um so ihre Hoffnung zu steigern (schreibt die NZZ vom Sonntag). Das sind Serious Games. So wie ich es sehe, gibt es eigentlich drei verschiedene Hauptkategorien von Videospielen, die sich Serious Games nennen (von dieser Kategorisierung halte ich nämlich wenig):
- Edukative Spiele. Die erzieherische — das heisst marketingtechnische , belehrende oder missionarische — oder auch einfach pädagogische Zwecke verfolgen)
- Therapeutische Spiele. Jedes Spiel kann glücklich machen — aber ist das schon Therapie? Das Beispiel des Krebs-Shooters gehört aber ganz klar in diese Kategorie.
- Experimentelle Spiele (Dies ist eine besonders interessante Gruppe: Spiele, die als Simulationen funktionieren und mit deren Hilfe man Neues, zum Beispiel über das Verhalten der Menschen, lernen kann. Der »Corrupted Blood incident« vom 13. 11. 2005, an dem in World of Warcraft durch einen Bug eine Epidemie ausgebrochen ist, war für Wissenschaftler und Mediziner sehr interessant. Spiele sind Simulationen und in diesem Sinn wertvoll für Erkenntnisse. Wenn Spiele auch einzig zu diesem Zweck angelegt werden, spricht man auch von einem Serious Game.

Corrupted Blood incident
Die Zweiteilung
In Zürich gibt es einen starke Forschungsschwerpunkt und einen Studiengang mit Serious Games. Und man darf es nicht schlecht machen: Der Begriff Serious Games ist der Versuch, Spiele aufzuwerten. Ihnen wieder ein positives Gesicht zu geben.
Ich bin der Meinung, dass es nichts Schrecklicheres geben könnte. In der Science Fiction und der Fantasy haben ähnliche Versuche längst angeschlagen. Man hat einen Unterschied zwischen High Fantasy/Science-Fiction und Low Fantasy/Science-Fiction gemacht. Einerseits war die Idee, Science Fiction aus dem Umfeld der Schmuddelheftchen und Pulp Fiction-Magazine in höhere Sphären zu katapultieren und einem Genre ein ernstzunehmendes Gesicht zu geben. Zugleich bot es aber auch die Möglichkeit, eine ewige Zweiteilung vorzunehmen und die Sache von oben herab zu behandeln. Ein Literatur-Professor sollte Solaris gelesen haben, ja, die Berge des Wahnsinns kennen. Aber sobald es um Therry Rhodan-Geschichten geht, hört er weg, das ist eben Low Science Fiction.
High SciFi

Low SciFi
Man hört, dass ich das ein wenig bedauere. Aber ich sehe auch ein, dass eine gewisse Hierarchisierung auch gut tut: Es ist ja wirklich oft zu erkennen, dass es zwischen Lem und anderen Autoren einen handwerklichen und philosophischen Unterschied gibt. Dies ist aber genau der Punkt, wo »Serious Games« sich von »High Fantasy« unterscheidet. Bei Serious Games steht immer die Absicht der Entwickler im Vordergrund. Serious Game ist ein von vorneherein festgelegtes Attribut, es sind nicht die Spieler, die es einem Spiel zuweisen. Und es der Begriff ist mehr eine Art, sich bei Marketingleuten, der Wissenschaft und unaufgeschlossenen Wissenschaftlern anzubiedern. Nicht alle Spiele sind nur zum Grölen da, wollen die Entwickler von Serious Games sagen, Spiele sind zwar oft unterhaltend. Aber ein Spiel kann, richtig programmiert, auch Nützen.
Was ist genau ein unernstes Spiel?
Klar, wieder Johan Huizinga. Denn seine Definition ist (wenn auch erklärtermassen unsicher und unscharf) in dieser Hinsicht deutlich. Dem Spiel hängt etwas vom Anderen an: Es ist das Nicht-so-gemeint des Spiels. Johan Huizinga sagt, Spiele seien Ernst. Sie hätten einen »heiligen Ernst«. Dabei hat er aber nicht an Serious Games gedacht, sondern an Fussballspiele, bei denen Hooligans in Rage geraten, oder Geldspiele, bei denen einer in Tränen ausbricht. Spiele sind nach Huizinga etwas anderes als Serious Games. Sehen wir mal, was Huizinga zum Ernst sonst noch gesagt hat.
Das Spiel läßt sich nicht verneinen. Nahezu alles Abstrakte kann man leugnen: Recht, Schönheit, Wahrheit, Güte, Geist, Gott! Den Ernst kann man leugnen, das Spiel nicht.
Das Problem an den Serious Games ist, dass man sie damit einer anderen Spielform gegenüberstellt. Aber fast jedes Spiel hat ideologische Prinzipien, die es dem Spieler überstülpt, jedes Spiel fördert kognitive und teilweise auch motorische Fähigkeiten und jedes Spiel kann zu wissenschaftlichen Beobachtungen dienen (wie das Beispiel von World of Warcraft gezeigt hat).
Thesenliteratur, Propagandmalerei – Gehirnwäscher-Videospiele?
Wenn man aber von Serious Games überhaupt nur spricht, verletzt man erstens das Prinzip des heiligen Ernsts jeden Spiels und zweitens drückt man dem Spiel eine gewisse Absicht auf. Wie kommt man eigentlich nur auf die bescheuerte Idee?Man hat doch gesehen, dass es in allen anderen kulturellen Sparten nicht funktioniert hat, in Filmen und Fotografien, zuvorderst jedoch in der Literatur. Thesen-Literatur oder Literatur, die einen bestimmten Zweck verfolgt und ihn erreicht, gibt es nicht. Denn jede Literatur zerstört immer auch das, was sie sagen will.
Und so ist es auch mit den Spielen. Jeder Versuch eines Spiels, etwas zu belehren, birgt zugleich die Anlage, das Gegenteil zu bringen. Ja, jedes Spiel, das etwas lehrt, kann einen auch zum Vergessen bringen. Ein missionarisches Spiel ist durch die Lächerlichkeit seiner eigenen Darstellung bereits ein atheistisches Spiel im überzeugendsten Sinn. Und eine der unglaublichsten Annahmen finde ich, dass Serious Games Amokläufe verhindern könnten. Als würden Amokläufe von den Tätern als etwas Unernstes aufgefasst…
Büchse der Pandora
Schafft den Begriff Serious Games wieder ab! Er ist die Büchse der Pandora, denn er benötigt die Voraussetzung, dass es Spiele gibt, die nicht für seriöse Zwecke genutzt werden könnten. Das ist einfach nur falsch. Wenn man Spiele auch bei anderen stark machen will, die sich nicht dafür interessieren, dann muss man sie vom Wesen der Spiele überzeugen und nicht ihre typische Eigenheit (das Unterhalten) erst entfernen um irgendwelche Kompromisse einzugehen. Gebt dem Call of Duty-Spieler doch einfach ein Mini-Game, in dem er den verletzten Gegner am Ende des Spiels chirurgisch behandeln muss, zack, Serious Game. Interessant, aber am Ende zu ideologisch bemüht. Vergesst, bitte, für immer diesen Begriff. Welchen Begriff? Ich weiss es auch schon nicht mehr.
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