Von JÁNOS MOSER.
Armer Sir Daniel Fortesque. Nach einem so unfreiwilligen wie untoten Ausflug ins mittelalterlich-fiktive Reich Gallowmere verschlägt es ihn auf neue âventiure ins viktorianische London. Das Setting klingt unterhaltsam, die Verpackung verspricht eine „wilde Horde geifernder Dämonen“. Wenn das mal kein Grund ist, nostalgisch zu werden. Also Spiel ausgepackt und in die Konsole geschoben. Nachdem der erste Schreck aufgrund lang vergessener PS1-Ladezeiten vorbei ist, kann’s endlich losgehen. Ob mir bei meinem erneuten Trip durch das neunzehnte Jahrhundert meine Literaturkenntnisse über höfische Artusromane weiterhelfen, wird sich zeigen.
Dunkle Gestalten
Begrüsst werden wir mit einem schönen CGI-Video auf PS2-Normalgrafikniveau. Der aus dem ersten Teil bekannte und beliebte Ritter Fortesque schläft voller zuht in Londons historischem Museum, als ubeler Tumult seinen Dornröschenschlaf unterbricht. Anscheinend hat jemand (in diesem Fall Lord Palethorn und seine Lakaien) das Zauberbuch des bösen Magiers Zarok gefunden und sich an dem aus dem ersten Teil bekannten Zauberspruch erprobt, der alles Knochige und Faulige ins Leben zurückruft. Dazu gehören eingesargte Leichen englischer Gentlemen, Mumien, die Saurier aus dem Museum und zu manece klage Lord Palethorns auch Daniel Fortesque selbst. Mit amüsantem Trompetengebläse steigt er von seiner Schlafstätte und wird von Geist Winston begrüsst, Helferlein von Professor – wie hiess nochmal der runzlige Typ mit der Pfeife? Egal. Wir erfahren wenige Tipps, viel blabla, und rennen munter drauflos in den Nebenraum, wo auch schon in einer Glasvitrine die ritterlichste aller Waffen wartet: das swert. Fortan heisst es: Rein in die Levels – und in möglichst einem Stück wieder raus. Die erste Neuerung wird schon zu Beginn angedeutet. Zwar ist unser lieber Daniel auch im viktorianischen Zeitalter ein rîter der gelêrt was unde ez an den buochen las, doch Musse findet er diesmal weniger beim Lesen als vielmehr im Labor des Professors – Gott, mir fällt sein Name nicht ein – von dem aus die verschiedenen Levels per Hellraumprojektor erreicht werden können. Ehrlich, kein Witz. Fortesque hat sich endgültig von Gallowmere emanzipiert und eine Weltkarte fehlt. Das bleibt aber auch schon der einzige Abstrich. Sonst ist alles da, was wir vom ersten Teil des Action-Adventures kennen: die heiklen Sprungpassagen, die störrische Kamera, die vielen Waffen (diesmal auch Pistole, Donnerbüchse oder Gatlin-Gun für den modernen Ritter) und vor allem der Humor. Die Entwickler haben sich selbst überboten. Für den Schnellspieler gibt Slapstick-Einlagen, für den sprachlich gewieften die englischen „puns“, für die Nachdenklichen sogar gewitzte Anleihen an H. G. Wells‘ Zeitmaschine. Überhaupt ist die Einbindung in ein neues, entfernt „reales“ Setting eine DER Stärken des Spiels. An jeder Ecke wartet eine Anspielung auf zeitgenössische (literarische) Figuren, Denkmuster oder Glaubensgrundsätze. Jack the Ripper ist ebenso vertreten wie ein Ausflug in die „Zukunftsabteilung“ des englischen Museums, wo voller Begeisterung von der baldigen Landung von Teatime-Reisegruppen auf dem Mond berichtet wird. Oder wieso mal nicht als „Dankenstein“ in den Boxring steigen? Weitere nette Dreingaben sind das spannende Tagebuch des Professors oder die Rettung einer Pharaonentochter. Die Liebe zur Abwechslung oder zum Detail ist unübersehbar, sei es technisch oder inhaltlich. Da ist es auch zu verschmerzen, dass die Lakaien Palethorns an Dick & Doof erinnern und der „Kelch der Seelen“ wieder dabei ist (den gilt es in jedem Level relativ nervenauftreibend zu erlangen, will man neue Waffen erhalten).
Zur Hand
Zu den Neuerungen, auf die besonders viel Aufmerksamkeit zu lenken versucht worden war, zählt „die Hand“. Die Hand? Richtig vermutet: die im ersten Teil bloss hübsch anzusehenden krabbelnden Zombiehände dienen im zweiten Teil als Transportmittel für Sir Daniel Fortesques Kopf. Tönt skurril, ist es auch: an bestimmten Stellen ist es möglich, mit dem Kopf auf einer Hand durch enge Schlupflöcher zu krabbeln und versteckte Lebensquellen oder Goldmünzen im Level zu finden. Fortesques Körper agiert wahlweise zur gleichen Zeit kopflos weiter. Nur gut, dass er trotz fehlendem Kopf seine Schlagkraft nicht einbüsst. Wenn gar nichts mehr hilft, hat er immer noch seinen eigenen, ausgerissenen Arm als Waffe. Sind das etwa Anleihen an den Teufel aus Chr. D. Grabbes „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“? Genug scherzhaft ist’s allemal. Kniffe wie diese sind gar nicht so unnütz. Wie im ersten Medievil verlangen die Bosskämpfe am Ende jeden Levels nicht nur ein herze ze velde ein burc, sondern auch Kopf – da haben wir’s. Man kann nicht nicht ohne Wortspiel über Medievil 2 schreiben. Was den Soundtrack angeht, sind manece vil Stücke wieder ein Fest für die Ohren. Ob nun die Lieder des ersten Teils oder die des zweiten Teils besser sind, ist reine Geschmackssache. In Medievil 2 gibt es einen Tick mehr „fröhliche“ Stücke.
Knochen, Knochen, Knochen
Ja: So sollen Fortsetzungen aussehen. Das Setting bringt frischen Wind in die alte Mittelalter-Geschichte und wird perfekt mit dem Knochen Daniel Fortesque und seiner ritterlichen Welt verbunden. Die Erweiterungen und neuen Features machen allesamt Sinn (ja, auch das mit der Hand) und man hat wirklich alles aus der Playstation rausgeholt. Die Wandlung Daniels vom tjostenden, getoasteten Haudegen zum englischen Gentleman passt von A bis Z (sowie sich Ritter- und Gentlemantum irgendwie nahe zu stehen scheinen). Von der Originalität her kommt das Spiel nicht ganz an ein Oddworld heran – dazu sind die Anleihen an die Tim Burton-Filme zu offensichtlich –, trotzdem ist Medievil 2 ein starkes Stück Design, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Des ist daz ende der geschiht – achso, der Professor heisst „Kift“. Na also: Swer an rehte guete wendet sîn gemuete, dem volget saelde und êre.
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