Von JÁNOS MOSER.
Träume sind Schäume, sagen der Vater des Jünglings aus Novalis´ „Heinrich von Ofterdingen“ und der Baron aus E.T.A. Hoffmanns „Der Hypnotiseur“. Recht haben sie: Zuweilen können sie ganz schön hoffnungslos sein. Ich träumte als Kind immer davon, eines Tages auf dem Rücken eines Drachen durch die Luft zu fliegen. Der Traum hat sich bis heute nicht erfüllt. Was weniger schlimm ist, als es klingt: Schon früh fantasierte ich mir ein Videospiel zusammen, in dem genau das möglich sein sollte. Es sollte eine Mischung aus Action-Adventure, Rollenspiel und Strategie werden und mindestens 400 Stunden Spielzeit verschlingen. Fehlten nur noch das Geld, die Designkenntnisse und die Programmierer, um die Idee umzusetzen. Aber so viel Frust und Aufwand brauchte ich gar nicht zu ertragen: Denn zufälligerweise hatte das Entwicklerstudio Surreal Software 1999 beinahe dieselbe Idee, die unter dem Namen Drakan: Order of the Flame das Licht der Welt erblickte. Das PC-Spiel blieb wie das Sequel auf der Playstation 2 ein dubioser, weniger beachteter Geheimtipp – zu Unrecht. Im Nachfolgenden werden die beiden Spiele einzeln vorgestellt.
Der Orden der Flamme
Die Anfänge des ersten Drakan-Spiels lagen in Tat und Wahrheit ein wenig weiter zurück als 1999. Schon drei Jahre früher versuchte Surreal Software unter der Schirmherrschaft von Publisher Virgin Interactive, ein strategisches Shooter-Spiel mit einem Drachen als Hauptfigur zusammenzubasteln. Mit mässigem Erfolg. Das Projekt wurde eingestampft und die Rechte an Pygnosis verkauft. Unter Zustimmung des neuen Rechtinhabers veränderte Surreal Software das Spielprinzip und orientierte sich neu vermehrt an Rollenspielen. Da die Aussicht, Interaktionsmöglichkeiten und Ausrüstungsgegenstände an einem Drachen auszuprobieren, auf wenig Begeisterung stiess, wurde Rynn als menschliche Begleiterin des Untiers hinzugefügt. Mit einer hübschen Millionensumme setzte Surreal Software das Spiel um und heraus kam Drakan: Order of the Flame, das erste Projekt des ambitionierten Entwicklerstudios. Das Spiel erschien zu einer Zeit, wo jeder noch das PC-Games-Magazin kaufte und Demoversionen spielte. Ein solches Demo war es auch, das mich dazu verleitete, mir die Vollversion unter den Nagel zu reissen – und ich habe es bis heute nicht bereut.
Teamgeist
Wie schon angedeutet, bezieht Drakan seinen Charme und seine Besonderheit vor allem durch das Zweiergespann von Kriegerin Rynn und ihrem treuen Drachen Arokh. Rollenspieltypisch beginnt das Spiel mit einem Überfall einer Horde Warthoks auf ein kleines Bauerndorf im Nirgendwo. Protagonistin Rynn, die ihren entführten jüngeren Bruder Delon zu betrauern hat, wird als eine der wenigen Überlebenden vom Dorfältesten beauftragt, eine bestimmte Höhle aufzusuchen, wo ein Drache hausen soll. Gesagt, getan: Rynn und der Drache Arokh verbünden ihre Seelen im uralten Ritual des Ordens der Flamme miteinander und sind fortan untrennbar verbunden. Stirbt er, stirbt sie, stirbt sie, stirbt er. Unpraktisch? Mitnichten. Damit Rynn ihren Bruder Delon aus den Klauen des bösen Zauberers Navaros zu befreien vermag, ist sie auf die Hilfe des Drachen unbedingt angewiesen, und der kann – was? Eben, fliegen. Entsprechend wunderbar ist das Gameplay, das im Grunde genommen eine Abwandlung der frühen 3D-Action-Adventures ist. In linear aufgebauten Levels sucht und findet man Tränke, Schlüssel, weicht Fallen aus und kämpft wahlweise zu Boden mit Pfeilbogen und Schwert oder in offenen Ebenen auf dem Rücken des Drachen gegen Warthoks, andere Drachen oder Katapulte. Ganz das Schosstier, folgt er einem überall hin (ausser in Höhlen) und steht einem im Kampf unterstützend zur Seite. Auch die besagten Rollenspielelemente sind im Ansatz vorhanden. Manchmal durchstreift man Dungeons oder gerät an magische Artefakte oder bessere Ausrüstungsgegenstände. Sogar Arokh hat verschiedene Angriffe spendiert bekommen, die nach und nach erworben werden, wie zum Beispiel verheerenderer Feueratem. Und wie in jedem guten Action-Adventure gibt´s auch Bosskämpfe – gegen besonders bösartige Drachen oder riesige Trolle. Das alles klang damals in Kindesohren zu schön, um wahr zu sein – Tomb Raider im Mittelalter und mit eigenem Hausdrachen! Heute fallen die Stärken und Schwächen dieser Konstellation deutlicher auf. Eine besondere Stärke des Spiels war nicht nur Rynn, die sich in der Spielergemeinde beinahe einen Platz neben Lara Croft erkämpfen konnte, sondern auch Arokh, der dafür sorgte, dass sich Drakan vom üblichen Einheitsbrei abhob. Die Schwächen waren einerseits technischer, andererseits storymässiger Natur. Die Geschichte des Spiels bot keine grossen Wendungen und „Warthoks“ sind wahlweise mit „Orks“ oder „Goblins“ zu ersetzen. Der Cliffhanger am Ende ist eine Frechheit. Trotzdem erwies sich Drakan: Order of the Flame um einiges spielbarer als jedes bis dato erschienene Spiel um Lara Croft. Wobei ich mittlerweile glaube, die beiden Spielereihen werden zu oft und zu sehr miteinander verglichen, denn wenn man genau hinschaut, haben die beiden Frauen nicht viel gemeinsam. Mehr oder weniger.
Der Flug
So genial sich der Drachenflug anfühlt, er hat leider ein bestimmtes Problem, das ich eher meinen enttäuschten Erwartungen zuschreiben würde als dem Spiel selbst. Drakan ist kein Open-World-Titel. Kein GTA San Andreas. Irgendwann stösst Arokh an unsichtbare Levelgrenzen und ist gezwungen, umzukehren. Der Nachteil an Levels. Sie ermöglichen eine stringentere Spielerfahrung, haben jedoch zugleich ihre Wände. Nur in den seltensten Fällen ist es möglich, die vorgegebenen Pfade zu verlassen und ein Sidequest zu bestreiten. Ansonsten kann man dem vorgegebenen Gebiet nur entfliehen, wenn alle Aufgaben in der richtigen Reihenfolge erfüllt sind. Schade. Mit dem gleichen Problem kämpfte auch der zweite Teil, auch wenn die Handlungsfäden etwas gelockert wurden.
Die antiken Tore
Drakan: The Ancient´s Gates erschien im Jahr 2002 auf der Playstation 2. Das Spiel war ebenfalls von Surreal Software entwickelt worden, Publisher war diesmal Sony Computer Entertainment. Meine Erwartungen an das Spiel waren sehr hoch. In manchen Punkten wurden sie enttäuscht, in anderen übertroffen. Doch der Reihe nach. Zu Beginn sehen wir Rynn vor dem Grab ihres Bruders stehen – halt, der ist im ersten Teil ja gar nicht gestorben! Richtig. The Ancient´s Gates ist auf geheimnisvolle Weise kein eigentliches Sequel, sondern spart bestimmte logische Verknüpfungen mit dem ersten Teil einfach aus. Diese Irritationen sind zum Glück nur auf die Einführungssequenz beschränkt. Kurz darauf geht es in gewohnter Manier los. Playstation 2 sei Dank sieht Rynn schon viel „runder“ aus als noch im Vorgänger. Was man nicht von Drache Arokh behaupten kann – ist wohl Geschmackssache, aber ich mochte sein archaische Design aus dem ersten Teil besser. Doch das sind Haarspaltereien. Was die Story angeht, ist die Sache noch ein Stück epischer geworden. Die Stadt Surdana soll von den Desert Lords beschützt werden. Zu diesem Zweck gilt es vier Portale zu öffnen, die zur Welt der Drachenmutter Mala-Shea führen. Mit ihrer Hilfe könnte die Menschheit einen neuen Bund mit den Drachen eingehen und der Orden der Flamme würde wieder auferstehen. Bis es soweit ist, müssen Rynn und Arokh viele Abenteuer bestehen (viele Warthoks grillen). Auf in den Kampf!
Gespräche
Was gleich zu Beginn auffällt, ist der stärkere Rollenspielcharakter des Games. Endlich gibt es ein grosses Inventar, mehr als nur vier oder fünf Waffen und weitere Entwicklungsmöglichkeiten. Nicht zu kurz kommen ausserdem Gespräche mit NPCs und Quests. Davon – Hurra! – sind eine Menge optional. Voller Eifer stürze ich mich mit Arokh in Regen- oder Schneestürme oder unter die Wüstensonne. Die Umgebungen sind abwechslungsreich geworden und sehr schön anzusehen. Das Kampfsystem ist, wie es scheint, taktischer. Überlegte Vorgehensweise ist gefragt, der richtige Zauberspruch zur richtigen Zeit. Die „Levels“ sind weitläufiger und erinnern endlich mehr an „Gebiete“. Man fühlt sich weniger eingeschränkt. Ja, Drakan ist grösser und tiefer geworden – aber auch besser?
Gameplay
Das Gameplay ist abgesehen vom vermehrten Auftreten von Rollenspielelementen in etwa gleich geblieben. Per Drache oder zu Fuss kämpft man sich Stück für Stück vor und trifft früher oder später auf besonders harte Brocken, die besiegt werden wollen. Die Endbosse haben es in sich. Bei manchen brauchte ich Tage, wenn nicht sogar Wochen. Ab und zu kommt Frust auf. Und ich habe wohl noch nie solche lange Ladezeiten erlebt. Umso ärgerlicher, wenn ich nach jedem Ableben bibbernd darunter leiden muss. Dafür hat Arokh neue Angriffe auf Lager, zum Beispiel den Hyperschallschrei. Und er hat ein paar bessere Sprüche auf Lager. Eigentlich eine würdige Fortsetzung. Eigentlich? Manchmal scheint es, als ob sich das Spiel nicht entscheiden könne, ob es denn nun Rollenspiel oder Action-Adventure sein will. Von Tomb Raider ist dafür definitiv nicht mehr allzu viel übrig.
Fazit
Die Drakan-Reihe ist eine der wenigen Spielereihen, von denen ich alle Teile besitze und durchgespielt habe. Bei zwei Ablegern nicht sonderlich schwer, aber hey, immerhin. Umso begründeter fällt mein abschliessendes Urteil über Rynn und Arokh aus (die Duo-Vorläufer von Jennifer und Scree). Zuerst kritisch-distanziert: Als „Reihe“ sind die beiden Drakan-Games heterogen. Jeder Teil hat so seine eigenen Stärken und Schwächen. Es sind beides sehr solide Spiele, die für Rollenspiel- und vorwiegend für Action-Adventure-Fans zu empfehlen sind. Einer, der diesen Genres nicht viel abgewinnen kann, wird auch nach einer Runde Drakan seine Meinung nicht ändern. Dazu bleiben die Möglichkeiten der Genres zu wenig ausgeschöpft. Und jetzt das persönliche Urteil: Wer Drachen mag: spielen! Wer wehrhafte Videospielheldinnen mag: spielen! Wer von vierhundert Spielstunden und einer völlig freien Drachenwelt träumt: trotzdem spielen! Und nachher weiterträumen.
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