Von JÁNOS MOSER.
Castlevania: Lords of Shadow, 2010 für Xbox 360 und die PS3 erschienen, ist eines der Spiele, die vielerorts Diskussionen ausgelöst haben. Einerseits ist da der grosse Name Castlevania, der bislang stets als Garant für lang andauernden Spielspass galt, andererseits fragt man sich im Hinblick auf die vergangenen 3D-Desaster , ob es denn möglich ist, die v.a. für 2D-Platformer bekannte Serie endlich doch noch in die dritte Dimension zu hieven. Um diese Frage im Vorherein zu beantworten: Ja, es ist geglückt, wenn auch mit bestimmten Einschränkungen. Was aber Castlevania: Lords of Shadow so interessant macht, ist nicht die Frage der Dimension, sondern vor allem die Frage, ob sich das Spiel als solches dem Namen Castlevania überhaupt gerecht wird. Wenn man sich in einschlägigen Foren umsieht, wird schnell klar, dass sich die Gamergemeinde in zwei Lager gespalten hat: in diejenigen, für die das Spiel schlicht ein miserabler God of War-Klon ist, und in diejenigen, die es als neues Castlevania-Meisterwerk preisen. Um herauszufinden, warum das so ist, muss man vielleicht ein wenig die Anfänge der Serie beleuchten.
Zuckerbrot und Peitsche
Wir schreiben das Jahr 1987. Auf dem NES erscheint ein Spiel mit bis anhin für die Konsole unüblichem Setting: ein Gruselschloss, gefüllt mit Skeletten, Werwölfen, Zombies, Spinnen und anderem Getier wartet darauf, von Vampirjäger Simon Belmont auseinandergenommen zu werden – und am Ende empfängt ihn niemand anderer als Fürst Dracula persönlich. Ausgestattet mit einer Peitsche, „Vampirekiller“ genannt, bahnt man sich also den Weg durch alles, was die Geister-, Horror- und Mythenwelt so zu bieten hat, während man von Plattform zu Plattform springt, dem für damalige Verhältnisse genialen(!) Soundtrack lauscht und die Architektur des Schlosses bestaunt. Castlevania ist in mehrere „Stages“ aufgeteilt; man durchquert von der Empfangshalle über den berühmten Uhrwerkturm bis hin zum Thronsaal Draculas abwechslungsreiche Abschnitte, die für rauchende Köpfe sorgen. Die vielen Bildschirmtode wegen Abgründen oder nervigen Gegnern (oder beidem) sind häufig, schmälern den Spielspass aber keineswegs, im Gegenteil. Schon damals galt Castlevania als eines der schwierigeren Spiele und die Reihe sollte diese Tradition über mindestens zwei weitere NES-Teile und einen SNES-Teil weiterführen (inklusive den Japan-Only-Spielen). Obwohl verschiedene interessante Entwicklungen mit erweiterten Spielelementen durchlaufen wurden (Ein Dorf mit NPCs in Castlevania II, mehrere Spielbare Charaktere beim dritten Teil), blieb das Grundkonzept Jump’n‘Run und Hack & Slay im Grossen und Ganzen das gleiche. Selbst der Gameboy bekam mehrere Castlevania-Teile im alten Stil spendiert, wovon v.a. Belmont’s Revenge dank dem hervorragenden Soundtrack Berühmtheit erlangt hat. Doch die Entwickler ruhten sich nicht auf den Lorbeeren aus …
(Schlossbesichtigung mit Simon Belmont aus Super Castlevania 4)
Maniküre für Dracula
Neue Ideen, neue Horizonte:nach vielen Ablegern für die verschiedensten Konsolen entschied man sich bei Konami dafür, neue Wege zu gehen. Die Folge dieses Entscheides würde zu einem der erfolgreichsten 2D-Spiele aller Zeiten werden: Castlevania: Symphony oft he Night feierte 1997 auf der PS1 ein Debüt, wie es bisher selten eins gegeben hatte. Generalüberholt und angereichert mit RPG-Elementen, schlug SotN ein wie eine Bombe. Held der neuen Stunde war kein muskelbepackter, peitschenschwingender Belmont-Abkömmling mehr, sondern Alucard, schweigsamer, langhaariger Sohn des dunklen Fürsten, der gegen seinen Vater aufbegehrt. Das Zeitalter, in dem Mann noch als ruchloser, halbnackter Barbar Frauenherzen erobern konnte, waren vorbei – jetzt war der hippe Schönling mit weichen Gesichtszügen gefragt. Doch obwohl am Look und am Gameplay geschraubt wurde, das gigantische, namensgebende Schloss blieb, mitsamt den verschiedenen Abschnitten. Während man sich aber in den alten Teilen von Stage zu Stage vorkämpfte, war es nun unerlässlich, alte, bereits durchwanderte Abschnitte erneut zu besuchen, um versteckte Upgrades zu finden und neue Wege zu erschliessen. Ähnlich wie in Metroid war das erst möglich, wenn man u.a. nach dem Sieg über einen der gigantischen Bossgegner neue Fähigkeiten wie z.B. den Doppelsprung erhielt. SotN und die folgenden darauf aufbauenden 3 GBA- und 3 DS-Teile erhielten deshalb auch den Übernamen „Metroidvania“ oder „Castleroid“. Neu war auch, dass Alucard im Gegensatz zu Simon und Konsorten im Level steigen konnte und mit dem Schwert (und der Axt und dem Speer u.ä.) statt mit der Peitsche gegen seinen Vater in den Kampf zog. Bis heute war diese Mischung aus Erkundung und Action das, wofür die „modernen“ Castlevanias standen.
(Hirnfresser vs. Blutsauger in Castlevania Symphony of the Night)
Zäsur
Wenn wir also die gesamte Serie betrachten, ist eine Zäsur zu erkennen zwischen den „alten“ Castlevania-Teilen und den „neuen“, die SotN nachfolgten. Wie oben angedeutet gab es da auch einige weniger ruhmreiche 3D-Ableger für den N64 und die PS2, die aber leider nicht wirklich an den Erfolg der 2D-Spiele anknüpfen konnten. Zu den weiteren Schattenseiten gehört wohl der Vorwurf, die Serie würde seit SotN stagnieren und es würde nichts wirklich Neues geboten. Nach dem Motto „If it ain’t broken, don’t fix it“ recycelten die Leute bei Konami für die Nachfolgespiele teilweise ganze Gegnerscharen und Hintergründe, sodass man manchmal das Gefühl nicht loswurde, alles schon einmal gesehen zu haben. Vor diesem Hintergrund waren die Erwartungshaltungen für LoS natürlich besonders gross. Castlevania, so wurde einstimming posaunt, sollte rundum „rebooted“ werden, sich aus der Asche erheben wie ein Phönix und der Stagnation den Garaus machen. Die ersten Trailer für LoS sahen auch recht vielversprechend aus. Gigantisch sollte alles werden, neuartig und besser. Seit einem Jahr ist das Spiel nun draussen und wir können feststellen, ob der Ruf, der LoS vorausgeeilt ist, auch wirklich das hält, was er versprach.
But enough talk … Have at you!
Held von LoS ist für einmal mehr ein Belmont, Mitglied einer heiligen Gemeinschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Böse von der Welt zu verbannen. Doch dem jüngsten (oder ältesten?) Spross der Familie, Gabriel, geht es diesmal nicht primär darum, die Welt zu retten, sondern darum, mithilfe eines legendären Relikts – einer uralten Maske – seine Freundin Marie wiederzubeleben. Romantisch, wie das klingt, muss die Sache logischerweise irgendwo einen Haken haben … doch von der Story sei hier nicht zu viel verraten. Sie spielt ohnehin eine eher untergeordnete Rolle und dient v.a. als Tanzfläche für gepflegte Prügeltänze … oder so. Jedenfalls tritt man auch hier nicht schutzlos gegen die üblichen Unterweltkreaturen an, sondern benutzt ein sog. „Kampfkreuz“, das wahlweise auch als Enterhaken oder Pflock dient. Der Name der Waffe spielt eigentlich keine Rolle, denn es sieht im Endeffekt nicht nur wie die Vampirjägerpeitsche aus, sondern spielt sich auch so. Mit dabei sind wieder die üblichen Sekundärwaffen wie Dolche und Weihwasser. Als Neuerungen erweisen sich die Feen, die Gegner für kurze Zeit ablenken, und ein Kristall, der ein massenvernichtendes (und seltsam, ähm, freizügiges) Monster beschwört. Im Gegensatz zu anderen, modernen Prügelspielen wie Devil May Cry fällt jedoch die Abwesenheit eines Treffersystems auf. Die Punktemenge, die man zum Kauf von Upgrades erhält, ist also nicht davon abhängig, wie elegant man einen Gegner ins Jenseits befördert. Die Fokusleiste hingegen schon, und hier wären wir schon bei einer weiteren Neuerung. Die Fokusleiste füllt sich desto schneller, je mehr schlagkräftige Kombos man einsetzt, ohne selbst getroffen zu werden. Ist sie voll, lassen die Gegner bei jedem weiteren Schlag sog. Neutrale Magiekugeln fallen, die der Kern des Magiesystems bilden. Das ist der wohl interessanteste Aspekt des Spiels: der Belmont von heute besitzt nämlich nicht nur eine Art von Magie, sondern ganze zwei davon, namentlich die Licht- und Schattenmagie. Während die Schattenmagie aktiviert ist, fügt Gabriel mehr Schaden zu, bei aktivierter Lichtmagie erhält er bei jedem Treffer ein wenig Leben zurück. Je nach Bedarf kann Gabriel nun also die neutralen Magiekugeln in die eine oder andere Magieart umwandeln, und diese sind auch bitter nötig, um das Spiel zu bestehen, denn der Schwierigkeitsgrad ist nicht ohne. Zum Glück gibt es hin und wieder Magie- und Gesundheitsbrunnen, an denen er sich erfrischen kann.
(Regen macht Muskeln – zumindest in Lords of Shadow)
What is a man?
LoSist in insgesamt 12 Kapitel unterteilt, die einen über schneebedeckte Berge, in dunkle Wälder und schleimige Sümpfe führen. Und wo bleibt das Schloss?, werden jetzt einige altgediente Veteranen aufschreien. Keine Sorge, da ist ein Schloss, nur nimmt es bei weitem nicht mehr die zentrale Rolle ein wie bei den alten Teilen. Positiv fällt hingegen die Länge des Abenteuers auf: mit ca. 15-20 Stunden Spielzeit reiht sich LoS in die obere Liga ein, was die Langzeitmotivation anbelangt (zumindest für Actionspiele). Auch nach Abschluss des Spiels kann man sich auf die Jagd nach verpassten Upgrades machen, die man dank der im Spielverlauf gewonnen Fähigkeiten (Doppelsprung usw.) erreichen kann. Klingt nach SotN, ist aber längst nicht so spannend, da sich der Fundort der Upgrades meistens auf einen einzigen, tristen Raum beschränkt. Die so heissgeliebte Erkundung von verwinkelten Gängen bleibt also diesmal wirklich aus. Ein Schatten des SotN-Gameplays, sozusagen. Grafisch und soundtechnisch kann LoS dafür wieder auftrumpfen. Selten bot ein Spiel so märchenhafte Umgebungen, so stimmige, orchestrale Klänge und so berühmte Synchronsprecher. Lediglich die Animationen Gabriels sehen im Vergleich zum Rest etwas dürftig aus, und manchmal fragt man sich, ob sich die Entwickler bei seinen Proportionen nicht etwas übernommen haben. Doch auch sonst weint man angesichts der Präsentation ein paar Wermutstropfen: abgesehen von den kleinen Rucklern und der widerspenstigen Kamera wirkt die Umgebung ja schön und gut, aber war Castlevania ursprünglich wirklich als schönes Märchen angelegt? Der Sound klingt phänomenal aus den Boxen, aber tönt das nicht eher nach Herr der Ringe als nach Castlevania? Wo bleiben Klassiker wie Bloody Tears, Illusionary Dance usw., Stücke, die so ziemlich jeder kennt, der mal ein Castlevania gespielt hat? Anleihen an die Serie sind zwar da, halten sich aber in Grenzen und beschränken sich höchstens auf ein oder zwei bekannte Namen.
You steal men’s souls and make them your slaves!
Doch schauen wir uns noch einmal das Gameplay von LoS an. Wir haben nicht nur Magie, sondern auch Quicktime-Events, gigantische Titanen, die mit viel Kletterei zu Fall gebracht werden müssen, Gabriel kann Gegner packen … die Liste der mittlerweile allseits bekannten Mechaniken könnte noch weitergeführt werden. Man merkt, dass sich die Entwickler wirklich Mühe gemacht haben, „mit der Zeit“ zu gehen, nur, dass einem alles so bekannt vorkommt. God of War meets Shadow of the Colossus meets Devil May Cry sozusagen? Scheinbar ist der „Reboot“ geglückt, mitsamt dem Einstieg in die 3D-Welt, aber zu welchem Preis? Ist LoS nicht nur ein einfallsloser Mix aus allen erfolgreichen Actionspielen der letzten Jahre? Doch spulen wir einmal die Zeit zurück und sehen uns Simons heroischen Sprite an. In Würde gealtert, in Ehren gestorben. Gestorben? Nichts ganz. Denn bei genauerer Betrachtung hat unser verpixelter Grossvater so einigen Einfluss auf die Spielewelt ausgeübt. Horror-Setting? Devil May Cry hat eins, Castlevania aber schon früher. Peitschenartige Waffen? Kratos hat zwar zwei, bei Castlevania gab’s das aber schon früher. Über Abgründe schwingen? Was der Prinz von Persien kann, konnten die Belmonts schon lange. Fakt ist, dass die Castlevania-Serie mit ihren über zwanzig Ablegern schon so altgedient ist, dass es absurd erscheint, zu sagen, LoS hätte von anderen Spielen abgekupfert. Von Spielen, die ihrerseits durch die Serie selbst beeinflusst wurden.
(Lords of the Shadow Colossus May Cry?)
Ein Tropfen Blut: am Gaumen würzig, im Abgang kräftig
Stellen wir uns also die ultimative Frage: Castlevania oder nicht Castlevania? Tja, eine schwierige Frage, denn im Rückblick auf eine Serie, die selbst ein wenig „gespalten“ wirkt, fällt die Entscheidung nicht leicht. Plattform-Action und Stages vor SotN, RPG-Elemente und ein frei erkundbares Schloss mit und nach SotN. Was bietet LoS? Ein wenig beides, wenn auch die SotN-Anleihen sehr, sehr kurz kommen. Von RPG bleibt keine Spur, alles, was an das erfolgreiche PS1-Spiel erinnert, sind die abgespeckten „Erkundungstouren“ durch bereits gemeisterte Levels. Mehrere Levels/Stages, viel Action … das erinnert uns doch eher an die früheren Teile. LoS, ein heimeliges Retro-Castlevania? Jain. Da wären zum Beispiel immer noch die Titanen, die doch stark an Shadow oft he Colossus erinnern. Also noch ein Versuch: LoS, ein Retro-Castlevania mit Shadow oft he Colossus-Einschlag? Aber halt, da sind noch die Quicktime-Events, die neu für die Serie sind. Und das Klettern gestaltete sich ja auch ein wenig anders … also steckt vielleicht doch ein wenig GoW dahinter…? Aber genug.
Perhaps the same could be said of all religions: das Fazit
Nach all den Fragen ist uns nämlich vielleicht das Wesentliche entgangen: LoS ist und bleibt ein gutes Spiel. Es bereitet viele Stunden Spielspass und wird dank der opulenten Präsentation auch nicht so schnell langweilig. Es mag der Serie zwar letzten Endes nicht immer treu bleiben und manchmal an andere Serien erinnern, aber was haben wir erwartet? Ein weiterer SotN-Klon? Nein, das wäre zu viel des Guten gewesen. Castlevania ist in der Moderne angekommen und das eigentlich zufriedenstellend. Man hätte mehr daraus machen können, das ist klar. Mehr Eigenständigkeit, mehr Bloody Tears und mehr Dracula. Doch im Vergleich zu anderen Genre-Vertretern wie Dante’s Inferno steht LoS meiner Meinung nach immer noch besser da und beweist uns, dass es mehr ist als nur ein God of War 4.Tief im Herzen (ähm ja) bleibt LoS doch ein Ableger der Serie, der es in sich hat. Die Erwartungen waren halt einfach sehr hoch, und seien wir ehrlich, man kann es nie allen Recht machen, wenn es um Nachfolger geht. Mal sind die Fans enttäuscht, weil zu wenig Nostalgie-Feeling aufkommt, mal schimpfen sie darüber, dass nichts vorwärts geht. LoS schafft diesen Spagat zwischen „Fortschritt“ und „Besinnung auf die Wurzeln“ zwar nur mit wackeligen Beinen, und das Bein zu den Wurzeln ist nur ein mickriger Zahnstocher, aber es schafft ihn – und wer weiss, vielleicht macht es der angekündigte Nachfolger besser. Mit neunundneunzig Herzen:
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