Von CÉDRIC WEIDMANN.
Der neuste Beitrag von Johannes behandelt ein Dilemma, das sich aus der Kommunikation verschiedener Instanzen ergibt. Er bemängelt, dass eine Feedbackleistung zwischen solchen Instanzen – etwa zwischen Spieleentwicklern und Spielern oder zwischen Politikern und Bürgern – ausbleibt: Politiker lernen nicht genug von Bürgern und Spieleentwickler hören nicht auf die Spieler. Dabei könnte diese Lücke durch die Netzwerkeffekte von Facebook locker überbrückt werden – und allen wäre geholfen.
Ein unzureichendes Beispiel für solche Kommunikation ist der Wahl-O-Mat, eine Wahlhilfe in Deutschland, die durch den Dschungel an Parteien und Ideologien führen will. Das Schweizer Pendant dazu wäre smartvote.ch, auf dem mit dem sogenannten Spinnennetz verschiedene Profile der Parlamentarier gewählt werden können.
Politik ist ein Spiel
Ich zweifle auch an der Wirkungsmacht dieses Instruments, aber aus anderen Gründen.
Ich kenne viele Bekannte, die sich darüber freuen, endlich die Möglichkeit zu haben, Identifikationen mit Politikern herzustellen. Sie gehen auf smartvote, geben ihre Stellungnahmen ab und erhalten ein auf sie zugeschnittenes Resultat. Und es funktioniert tatsächlich – die Menschen gehen häufiger wählen, denn sie sind sich sicher, wo sie stehen. Sie können endlich jemanden wählen, von dem sie wissen, wie er wählt. Ohne dabei auf die lächelnden Gesichter und die farbigen Werbungen hereinzufallen, die durch den Nebel von irgendwelchen Äckern herüber grinsen.
So gesehen ein grossartiges Instrument! Mehr Unabhängigkeit! Transparenz! Tatsächlich!
Und wenn nicht?
Ich erwidere oft, dass ich dieses Prozedere verachte. Nicht aus Gründen der Ideologie. Nicht, weil ich glaube, es sei nicht intelligent. Sondern weil es Politik systematisch missversteht.
Ist Politik denn etwas, was uns gehört? Ist Politik denn etwas Allgemeines?
Als ich etwas jünger war, war meine Überzeugung, dass alles Politik ist. Kunst und Kultur, das Winken auf dem Bahnhof, das Schneuzen der Nase, der Stau vor dem Tunnel. Das alles ist Politik – man kann schliesslich nicht nicht politisieren. Wer nicht wählt, wählt auch mit.
Noch immer finde ich das einen interessanten Ansatz, aber ich sehe heute auch, dass ich Politik damit missverstanden habe. Politik ist nicht alles. Es ist nicht Politik, wenn ich ein Glas Wasser trinke oder Worms spiele.
Politik ist etwas Abgegrenztes. In die Politik gehören nur Politikerinnen und Journalistinnen, Menschen gehören in den Alltag, in die Politik gehören Schlipse und minutenlange Handreichungen, im Alltag gehören Schlipse in die Waschmaschine oder den Kleiderschrank, Politik beginnt erst in der Urne und der Mensch endet in ihr. Es ist ein eigenes Spiel, mit eigenen Regeln und Kodizes, ein kleiner Tanz, deshalb nennt man Politik auch „Politik“ und nicht „Alltag“. Politik ist eine bestimmte Handlung im Sinne Huizingas – und deshalb ein Spiel.
Smartvote oder Das Problem der Ideologie
Heute setzen sich Menschen hin, mit dem Willen, ihre Marionetten zu wählen. Die Politiker zu finden, die sind wie sie. Der Wähler will sich vervielfachen. Er will sein eigenes, ideologisches Doubel, einen Ableger, einen Klon ins Parlament bringen. Er zeugt sich selbst. Er liebt die Tatsache. Er hasst die Abweichung.
Heute ist deshalb der Todestag der Partei – ihre Ideologie ist unnütz, ihre Sammlungskraft, ihre Stellungnahmen sind leer. Die Partei ist ein zu strenges Korsett, das niemand mehr achtet, wer will schon links wählen, wer will schon rechts unterstützen, wenn er viel genauer sein kann?
Das Problem bei diesem Verfahren ist, dass die Vorteile dieser Ideologie völlig entstellt werden. Ich stelle mir gerne folgende Fragen: Will ich wirklich, dass die Welt ist, wie ich sie will? Will ich jemanden wählen, der meiner Meinung ständig folgt, auf mich hört und nicht abweicht, von dem, was jemand von ihm erwartet? Will ich das? Will ich ein Gesicht wählen und keine Ideen? Will ich so tun, als gäbe es das Spiel der Politik nicht? So tun, als würden die Entscheidungen nicht später von Lobbies gekauft und gekippt? Will ich mich tatsächlich selbst duplizieren und in die Politik stecken? Will ich mich selbst politisieren?
Ich verstehe, wenn man das tatsächlich will und findet, die Sache ist hilfreich. Aber ich glaube nicht an dieses Prinzip. Ich glaube nicht, dass wir die Sache lenken können. Ich glaube daran, dass wir wie dumme Hamster an Ideen glauben müssen, die wir wählen. Wenn ich einen Politiker wähle, weiss ich, dass er stirbt. Ideen haben eine weitaus längere Lebenserwartung. Und sie weichen nie von sich selbst ab.
Ich schicke meine Meinung also nicht durch einen Filter und entscheide einzelne Abstimmungen. Ich bilde lediglich meine Ideologie und versuche die Ideologie mit Ideologien abzugleichen. Dafür gibt es leider kein Programm und das wird es vermutlich auch nie geben, aber so bin ich mir der möglichen Abweichungen umso bewusster.
Johannes hat das nicht in dieser Radikalität behauptet wie ich und ich unterstelle es ihm nicht. Aber wenn er schreibt, der Wahl-O-Mat müsse fragen: „Woraus soll ihr Menü bestehen?“, ist das Problem auf sehr subtile Art perfekt umrissen.
Google ist dein Freund
Das war viel Politik und wenig digitale Kultur. Was hat dieses Problem mit dem Web 2.0 zu tun? Viel!
Google benützt deine Daten zur verbesserten Benutzerfreundlichkeit. Es zeigt dir Werbungen, die dir gefallen könnten, es holt dir Suchanfragen, die genau dich interessieren könnten, und das alles anhand der Daten, die sie von dir sammeln. Google ist ein echter Freund. Es kennt dich seit langem, beobachtet dich, hilft dir bei Schwierigkeiten und erhält mit kleinen Geschenken (Stirb, Dropbox! Nein, ich will keine weiteren 20 MB!) die Freundschaft.
Vergessen wir nicht: the computer is personal again, und das ist jetzt auch schon wieder mehrere Jahre her. Deine Werbungen, deine Youtube-Vorschläge, deine Suchanfragen sind personal again.
Doch in der absoluten „Personalisiertheit“ geht viel verloren. Ich könnte davon anfangen, dass zu einer Suche das Irren gehört. Die Suche bei Google wird immer problemloser. Die Elimination von falschen oder mangelhaften Vorschlägen zerstört dabei das Prinzip des Irrens – denn Irren ist nicht nur das ziellose Herumwandern, sondern auch das Machen eines Fehlers. Beides stirbt in der Suchmaschine.
Aber darum geht es mir nicht. Genug oft stolpere ich über die unnützen Links, die mir Google unterjubeln will, oder die mangelhaft recherchierten Artikel. So schlimm wirds also nicht sein.
Deine Persönlichkeit überzieht klebrig das Internet
Das wahre Problem an der Personalisiertheit liegt aber nicht am Verschwinden des Irrens, sondern an der Totalität der eigenen Persönlichkeit. Will ich denn, dass das Internet mich kennt? Dass überall ein ekliger Film meiner selbst über allem liegt, was ich anklicke? Bin ich denn immer, wie ich bin? Was ist, wenn ich morgen eine komplette 180°-Lebenswendung vornehme? Bin ich mir denn immer sicher, dass das, was ich will, das ist, was ich will? Bin ich denn immer mit mir einig?
Neben der Frage: Finde ich immer das, was ich suche?, stellt sich die Frage: Suche ich immer das, was ich suche?
Die Personalisierung der modernen Geräte fordert ein Übergewicht der Persönlichkeit ab und gibt uns weniger an die Hand. Die Hindernisse verschwinden, aber damit verschwinden auch die Objekte. Das, was ausser uns ist. Es verschwindet das Anorganische. Das Dumme, das Taube, das Unbewegliche, das Unangepasste.
Die Politik verschwindet, weil wir sie auffressen, uns das fremde Gebiet zu eigen machen (oder, gehen wir noch tiefer in diesen abstrakten Sumpf: Wir reissen das Spiel, in welchem wir nicht mitspielen, an uns und zerstören es dadurch!). Und so ist es mit allem, was personalisiert. Es überstülpt unsere Persönlichkeit auf die Objekte. Ob das schlecht ist, weiss ich nicht. Aber es ist mindestens bedrohlich.