Freies Feld

Metroid

Von JÁNOS MOSER.

Vor einigen Wochen ging die grosse Spielemesse E3 ein weiteres Mal mit viel Krach und Bumms über die Bühne. Und das im wahrsten Sinn des Wortes: Spiele wie das Neue Tomb Raider, Beyond: Two Souls oder allen voran Resident Evil 6 geizten nicht mit Explosionen in ihren Trailern. Grafische Leckerbissen mit gross angelegten Storys und filmischen Dauereinlagen im Stil der Uncharted-Reihe scheinen das neue Lieblingsrezept der grossen Spielehersteller zu sein. So packend diese Verschmelzung von Spiel und Film ist – sofern gut gemacht – so skeptisch mag sie den einen oder anderen stimmen. Das neue Resident Evil beispielsweise erinnert auf einmal stark an die gleichnamige maue Filmreihe. Noch will ich nichts verteufeln: ein Film-Spiel hat durchaus Stil, wie kürzlich Nathan Drake bewies. Doch sind „vielschichte und packende Geschichten für Erwachsene“ (Zitat golem.de) der richtige Weg? Die Frage scheint widersinnig: ja, natürlich will man mehr Story, mehr Tiefgang, mehr Charakterentwicklung, bis wir am Schluss bei Dostojewskij angelangt sind. Mal abgesehen davon, dass sich die gespielten Geschichten momentan noch etwa auf gleicher Ebene wie Durchschnitts-Hollywood-Actionkino befinden, wirft diese Entwicklung die Frage auf, was denn nun eigentlich noch „Spiel“ an dem Ganzen ist. Was konnte und wollte das Medium „Videospiel“ eigentlich ursprünglich leisten? Und vor allem: was kann dieses Medium leisten, das ein anderes – z.B. der Film – nicht kann? Ein gutes Beispiel dafür, was Spiele als Medium einzigartig macht, ist meiner Meinung nach die Metroid-Reihe.

Den Testosteronspiegel senken

Als Metroid 1 im Jahr 1986 erschien, konnte noch kaum jemand ahnen, dass mit der Geburt eines neuen Spielprinzips auch zugleich eine der ersten Videospielheldinnen der Geschichte das Tageslicht erblicken würde.  Nachdem der Spieler sich durch unzählige Gänge gekämpft und allen Gefahren ins Auge geblickt hatte, zog die Figur im Weltraumkampfanzug am Ende des Spiels ihren Helm von den Schultern – und zum Verblüffen aller kam eine Frau zum Vorschein. Kinder weinten, Welten brachen zusammen und an den Osterhasen konnte ab sofort auch niemand mehr glauben. Nicht nur der Name der Figur, sondern auch ihre Laserwaffen, die Raketen und Spezialfähigkeiten hatten in Kombination mit der damals minimalistischen Grafik in die Irre geführt; denn Kämpfen war bisher immer muskelmassige Männersache gewesen. Raffiniert: während in der Videospielwelt spätestens seit Tifa aus Final Fantasy 7 „leicht“ figurbetonte Frauen vorherrschen (sei es wegen der Einsamkeit der Entwickler oder der Gelüste der Spieler), versteckte sich Samus unter ihrem Anzug. Romanzen oder sonstiger Firlefanz blieben ihr erspart und es gab auch keine flapsigen Dialoge (siehe Uncharted 2). Das Geschlecht der Spielfigur spielte ja (zumindest bis zum leichtbekleideten Ende) auch gewissermassen keine Rolle: das packende Gameplay machte solche Fragen schlicht und einfach irrelevant.

Ein historischer Moment (inklusive Schreibfehler) – dafür lieben wir Games.

Erkundungstour

Und das Gameplay ist und bleibt die grösste Stärke der Serie. Es gilt für gewöhnlich, durch das Innere eines unwirtlichen Planeten oder einer verlassenen Forschungsstation zu wandern, gefährliche Alienviecher oder Bosse zu besiegen und dabei immer neue Fähigkeiten wie einen Eisstrahl, eine höhere Sprungkraft oder den „Morph Ball“ zu erlangen. Mit dem Morph Ball lassen sich beispielsweise enge Röhren passieren, die höhere Sprungkraft katapultiert einen an bisher unerreichbare Orte und mit dem Eisstrahl friert man Gegner ein. Nicht nur die Fähigkeiten, sondern auch die nach und nach aufzusammelnden Raketen oder Bomben dienen dem Fortschritt. Je grösser die Sprengkraft, desto mehr zuvor unpassierbare Schleusen kann Samus öffnen. Je mehr neue Fähigkeiten und Ausrüstungen hinzukommen, desto zugänglicher wird also das labyrinthartige Höhlen- oder Gangsystem. Zwar sind die Abschnitte häufig in „Levels“ unterteilt, aber man kann jederzeit zurückkehren, um etwas Neues an einer neuen Stelle auszuprobieren. So entsteht ein grossartiges Erkundungsgefühl.   Die Umgebung muss jederzeit genau unter die Lupe genommen werden, denn überall winken versteckte Raketen-Kanister, mehr Bomben oder Lebensenergie. Dieses Spielprinzip wurde für Metroid 1, 2, 3 und 4 beibehalten, später, als mit Metroid Prime der Sprung in die dritte Dimension gemacht wurde, kamen auch Ego-Shooter-Elemente hinzu.

Parasiten und Piraten

Im Gegensatz zu den heutigen Action-Blockbustern gab es in den frühen Metroid-Spielen 1-3 noch nicht viele Story-Hintergründe. Auslöser für Samus‘ Abenteuer sind die titelgebenden Metroids, eine parasitäre Alienform, welche sich am Körper festsaugt. Sogenannte Weltraumpiraten (krabbenartige Viecher auf zwei Beinen) missbrauchen diese für kriegerische Zwecke. Anführer der Weltraumpiraten ist „Mother Brain“, ein riesiges Gehirn in einem Reagenzglas, das es im ersten, aber auch im dritten Teil zu besiegen gilt. Hinzu kommen die beinahe ausgestorbenen Chozo und ein Dutzend andere Lebensformen. Die Atmosphäre mit ihrer dunklen Farbpalette und pochenden Musik erinnert dabei oft an den grossartigen ersten Alien-Film von Ridley Scott (einer der Bosse wurde gar „Ridley“ getauft). Die untergegangene Alienzivilisation der Chozo, auf deren Überreste man manchmal stösst, könnte eine Idee aus einem Lovecraft-Buch sein. Samus ist, ähnlich wie in einem Survival-Game, auf sich allein gestellt und muss immer weiter in den Untergrund vordringen. Die Feinde sind fies und  schwer berechenbar. Auch wenn das Augenmerk nicht auf Horrorelementen liegt, kann es schon vorkommen, dass bei einem unerwarteten Hervorbrechen eines Endgegners beinahe der Controller aus der Hand rutscht. Bereits in Metroid 3, aber vor allem in Metroid 4 wird das Geschehen bisweilen durch Samus‘ Monologe aufgelockert. Obwohl im hypermodernen Raumanzug und mit dicker implantierter Wumme, bleibt sie das Spiel über eine sympathische, ernstzunehmende Persönlichkeit. Halo-Held „Master Chief“ wirkt dagegen wie eine aufblasbare Puppe (und Chris Redfield aus der Resident-Evil-Reihe  ist ein Affe auf Steroiden, aber das steht hier wohl nicht zur Debatte). Die Metroid-Spiele können ausserordentlich süchtig machen und hypnotisch wirken – schade nur, dass sie so kurz sind. Der dritte Teil zum Beispiel ist nach ca. 6 Spielstunden vorbei. Trotzdem werde ich die Landung auf Zebes mit dem Donnergrollen und der Musik wohl nicht so schnell wieder vergessen.

Freiräume

Kommen wir zur Frage zurück, was die Old-School-Metroidspiele so besonders macht. Früher dachte man beim Wort „Videospiel“ vielleicht an Pong, Pacman oder Tetris, heute auch an Filmnachahmungen. Aber ein Spiel kann sehr viel mehr sein als ein Geschicklichkeitstest oder Kino mit Knopfdrücken. Was ein Videospiel vor allem leisten kann, ist der Aufbau einer eigenen, lebendigen Welt, an der man aktiv teilhaben kann. „Welt“? RPGs haben eine solche als Grundlage. Metroid schafft es jedoch mit einem ganz eigenen Spielprinzip, eine Welt zu erschaffen. Dazu trägt vielleicht gerade auch ein gewisser Minimalismus bei. Nicht immer braucht es alle Streichregister des Orchesters und saftige Explosionen im Sekundentakt. Setzt man diese Elemente sparsam ein, lässt die eine oder andere dramatische Szene weg, erreicht man unter Umständen mehr – mehr Freiraum für Vorstellungen, die sich während des Rätselns um die Geheimnisse des Planeten Zebes einnisten. In der Tat scheint es schier unmöglich, einen „Metroid-Film“ zu drehen. Das Spielprinzip, das Erlebnis lässt sich schlicht und einfach nicht wirklich verfilmen, ähnlich wie sich Sprache nicht verfilmen lässt – und das ist die Stärke des Mediums.
Natürlich ist die heutige Spieleindustrie nicht einfach per se zu verteufeln. Die Richtung, die sie einschlägt, finde ich sogar interessant, denn es zeigt, dass Games sich nicht vor dem Kino verstecken müssen, was die Action anbelangt. Trotzdem wäre ich  froh, wenn sich die Entwickler auch ab und zu überlegen würden, was sie anders als Hollywood machen können.

Dieser Beitrag wurde von Yoshi geschrieben und am 26. August 2012 um 12:48 veröffentlicht. Er ist unter Porträts abgelegt und mit , , , , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

4 Gedanken zu „Metroid

  1. quappe sagte am :

    „Pray for a true peace in space“ – genial! Ich will ein Shirt mit genau diesem Aufdruck.

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