Von JÁNOS MOSER.
Rache als Narrativ ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Hollywood und die Videospielindustrie haben uns in den letzten Jahren aber immer wieder klar gemacht, dass sie auch ein einfaches Mittel ist, um einem langweiligen Protagonisten – meist männlich – eine Erklärung für seine blutigen Taten und unseren Gewaltfantasien einen Anschein von Rechtfertigung zu geben. Die allseitige Beliebtheit solcher Fantasien könnte uns wenn nicht «zu denken geben», so doch einmal dazu anregen, die Ausführung des Narrativs genauer unter die Lupe zu nehmen. Wann ist Rache ein simples plot device für einen flachen Charakter? Und unter welchen Umständen verleiht sie einer Figur womöglich interessante Eigenheiten, vielleicht sogar Tiefe? Ein Beispiel für eine gute Rachegeschichte ist diejenige von Velvet, der Protagonistin von Tales of Berseria, des (bisher) vorletzten Ablegers der «Tales of»-Japano-RPG-Reihe. Um herauszufinden, warum das so ist, müssen wir uns aber zunächst zwei andere Beispiele anschauen.
Rache als Exzess

Kratos in God of War (2005)
Wer an «Rache» in Zusammenhang mit Videospiel-Protagonisten denkt, wird sich früher oder später an Kratos erinnern, der sich in bislang sieben God of War-Teilen durch die Götterwelt der Griechen (oder, wie im neusten Teil, der nordischen Mythologie) schnetzelte. Die Geburtsstunde von Kratos’ Rachefeldzug ist eine Täuschung durch den Kriegsgott Ares, die ihn dazu bringt, unwissentlich sein Kind und seine Ehefrau zu ermorden. Als Strafe wird er dazu verdammt, die Asche seiner beiden Opfer am Körper zu tragen. Diese Ungerechtigkeit will Kratos sühnen und begibt sich auf einen Rachefeldzug nicht nur gegen Ares, sondern sämtliche Götter des Olymps, die ihm übel mitgespielt haben. Als Waffe benutzt er seine sogenannten «Chaosklingen», zwei Kurzschwerter, die ihm an die Arme gekettet sind. God of War ist simpel, brutal und exzessiv: Blut spritzt, Gedärme quellen hervor und auch Sex fehlt nicht. Das erklärte Ziel der Entwickler war es, die Figur Kratos so «badass» wie möglich darzustellen und so die Extrapolation männlicher Machtfantasien auf die Spitze zu treiben. Dass es ihnen gelungen ist, zeigt sich besonders an den Stellen, wo diese Fantasie ins Absurde kippt und z.B. eine Sexszene in ein Quicktime-Event umfunktioniert wurde. Sollte God of War einem moralisch integren Menschen Sorgen machen oder gar ernst genommen werden? Nein. Denn die Welt der Griechen war halt so: alles, was nicht bei drei auf den Bäumen sass, wurde entweder abgeschlachtet oder begattet. Zumindest wollen uns das die Spiele weismachen. Doch bleibt ein wichtiger Unterschied zur Ilias und Odyssee: was in diesen Büchern schön war, war auch gleichzeitig gut. So stylisch die Gewalt in God of War in Szene gesetzt wird, so kann Kratos, noch mehr als bei anderen Rachegeschichten, nur bedingt als Identifikationsfigur gelten. Dafür ist er einfach zu brutal und zu unsympathisch. Kratos ist, in seiner Übertriebenheit, im Prinzip mehr eine Personifikation als eine Figur, soll heissen, er dient in der Geschichte als Exekutor des Rache-Plots, der funktioniert, weil: wer wollte nicht schon immer mal die Seele aus einem Gott rausprügeln? Sympathie wird nicht über die Figur, sondern über den Rachegedanken selbst hergestellt. Kratos dient als Gefäss für männliche Wünsche, und wo die Brachialität dieser Wünsche etwas gemildert wird – wie beim gealterten Kratos des 2018er-Reboots der Reihe – stricken die Entwickler eine Dad-Story draus, in der es um das Verhältnis zwischen protektivem Vater und aufbegehrendem Sohn geht. Letztlich geht es aber auch hier um Gewalt. – Übrigens ist der Dad-Plot in vielen Filmen und Games gleich mit dem Rachemotiv verknüpft, indem z.B. der Sohn/die Tochter entführt wird und der Vater durch die Rache an den Entführern zeigt, wie viel ihm das Kind wirklich bedeutet (und somit ein «gesundes» Familienverhältnis» wiederherstellt). So sollen die Taten des Vaters eine zusätzliche Rechtfertigung bekommen, da nicht nur der Auslöser, sondern auch der Endzweck – das (bürgerliche) Familienglück – die Mittel rechtfertigt.
Rache ohne Erlösung

Ellie vor Joels Grab in The Last of Us Part 2 (2020)
Ein Spiel, das mit dem Rachemythos in Verbindung mit der Dad-Story gehörig aufräumte, war The Last of Us Part II. Joel, der Ersatz-Dad von Ellie, der im ersten Teil des postapokalyptischen Überlebensszenarios alle Mühen auf sich nahm, um seine «Tochter» zu retten, wird gleich am Anfang des zweiten Teils brutal getötet, um den zwei neuen Hauptheldinnen Platz zu machen: Neben der Geschichte von Ellie, die fortan den Tod Joels rächen will, schlüpfen wir auch in die Haut von Abby, der Mörderin von Joel, die – wie sollte es auch anders sein – diesen ermordete, um sich am Tod ihres eigenen Vaters zu rächen. Bei The Last of Us Part II handelt es sich also um eine Zusammenführung zweier ineinander verschränkter Rachegeschichten, die den Vater aus der Gleichung nimmt, indem er, auf beiden Seiten stehend, herausgekürzt wird. So wird das Game zu einem Nullsummenspiel; den Racheplots fehlt es zwar nicht an Begründung, doch können sie zu keinem befriedigenden Ende mehr führen, da sie sich gegenseitig aufheben. Am Schluss von The Last of Us Part II steht sodenn auch kein neugefundenes Familienglück, sondern nur Leere; Ellie rächt sich nicht an Abby, weil die Rache bereits zu viele unschuldige Opfer gefordert hat, und verliert wegen ihres blinden Hasses trotzdem alles, was ihr lieb und teuer war. So bleibt, wenn selbst wenn man Ellies späte Einsicht nachvollziehen mag, ein schaler Nachgeschmack.
Das Problem mit der Reue
The Last of Us Part II ist bei seinem Erscheinen kontrovers diskutiert worden, unter anderem deshalb, weil hinter dem unrühmlichen Tod Joels und dem «Empowerment» der Frauenfiguren eine politische Agenda vermutet wurde. Anita Sarkeesian, eine feministische Medienkritikerin, die u.a. im Vorfeld immer wieder durch scharfe Analysen von misogynen Tendenzen in Videospielen aufgefallen war, soll die Entstehung des Games beeinflusst haben. Ob das stimmt oder nicht, ist eigentlich egal, weil das Game endlich das Problem von Rachestorys aufzeigt: eine allein von Rache getriebene Figur kann nie eine klassische Heldenreise durchlaufen, weil ihr Antrieb nur Selbstsucht und Egoismus ist. So ist The Last of Us II in gewissen Stücken vielleicht das Gegenteil von God of War: statt übertriebene Fantasie wird hier die schonungslose Realität dargelegt: Rache führt zu Schmerz, Gewalt zu noch mehr Gewalt. Diese ist übrigens noch schonungsloser dargestellt als in God of War – der comichafte Filter, das Überzeichnete fehlt. Hier stösst aber auch The Last of Us Part II auf ein Problem, an dem die Internet-Shitstorms stets knapp vorbeizielten: die Reue. TLOU2 versucht in beinahe jedem Augenblick seines gewalttätigen Plots zu verdeutlichen, dass Gewalt böse und schon gar nicht ästhetisch ist. Damit hat das Spiel eigentlich Recht, wenn da nicht der Umstand wäre, dass sich das Töten von Menschen – sorry – hier so befriedigend anfühlt wie in keinem anderen Game. Ja, man fühlt sich als Spieler nach dem Abschlachten von fünf Sektenmitgliedern richtig lebendig. Wenn Ellie nach zwei Dritteln des Spiels dann plötzlich in einer Cutscene realisiert, dass der Tod dieser Menschen ungerechtfertigt war, dann führt das dazu, dass ihre Reue nicht wirklich glaubhaft wirkt. Sie passt schlecht zu ihrem bisher aufgebauten Charakter, weil das brutale Töten ihr Naturell zu sein scheint. Zudem kann das postapokalyptische Setting, in dem jeder um sein eigenes Überleben kämpft, mit Gefühlen wie Reue nichts anfangen, sie wirkt so fehl am Platz wie Chris Redfield in einem Plüschkostüm, der über die Schneelandschaft von Skyrim düst. Ellie und Abby sind, auch wenn sie sich von Kratos durch ihre komplexere Darstellung unterscheiden, nicht so anders als er. Müssen sie so brachial sein, weil der Racheplot es ihnen diktiert?
Emotionen gegen Vernunft
Auf einer ganz anderen Ebene begegnet uns der Racheplot noch einmal in Tales of Berseria, dem eingangs erwähnten Japano-Rollenspiel von Bandai Namco. Die Rachegöttin heisst diesmal Velvet und ist ursprünglich ein einfaches Mädchen vom Lande, das mit dem Schwager ihrer kürzlich verstorbenen Schwester zusammenlebt und sich aufopferungsvoll um ihren kleinen Bruder kümmert. Doch das Unglück bricht in einer düsteren Blutmond-Nacht über sie herein: unfreiwillig muss sie mit ansehen, wie ihr Schwager, der einem religiösen Kult angehört, ihren Bruder für ein Ritual opfert, bei dem ein böser Gott erweckt werden soll. Beim Versuch, ihren Bruder zu retten, verwandelt Velvet sich durch den Einfluss des bösen Gottes in einen Dämon, der andere Dämonen verschlingt, einen sogenannten «Therion». Sie stürmt los, um sich an ihrem Schwager zu rächen, wobei sich ihr aber andere Dämonen entgegenstellen. Sie tötet diese und muss dann erkennen, dass sie auf diese Weise eigenhändig die Bewohner ihres Dorfes ausgelöscht hat. Ehe der Schock überwunden ist, wird Velvet in ein dunkles Gefängnis gesteckt. Nach drei Jahren wieder frei, macht sie sich voller Hass auf die Suche nach Arthur, der mittlerweile zum Anführer des besagten Kults aufgestiegen ist und eine Welt der «Vernunft» anstrebt, in der die Menschen zu willenlosen Sklaven des bösen Gottes werden.¹
Anime-Storytelling

Velvet in der Introsequenz von Tales of Berseria (2017)
So viel zur Ausgangslage, die zunächst nicht viel anders klingt als jede beliebige Rachestory. Doch was macht die Figur Velvet anders? Bevor wir dazu kommen, müssen wir noch ein bisschen integrative Vorarbeit leisten. Ja, Tales of Berseria ist ein Japano-RPG mit absurd hohem Anime-Faktor. Soll heissen: was bei Japano-Games Alltag ist, erscheint für westliche Verhältnisse wirklich befremdlich. So trägt Velvet Hotpants, zerrissene Strümpfe und ein Oberteil, die die Bezeichnung «Kleider» nicht wirklich verdienen. Derselbe hohe Sex-Faktor gilt auch für andere Figuren, ja sogar für die nackten Gegner, die man während seiner Reise bekämpft. Die Story wird hauptsächlich durch Alle-paar-Meter-Cutscenes und -Skits erzählt. Die Gruppe von Velvets Begleitern, die nach und nach hinzustossen, haben wie immer ihre eigenen Backgrounds: Der Pirat Eizen sucht den verschollenen Kapitän seiner Mannschaft, der Schwertkämpfer Rokurou will seinen Bruder besiegen, die Exorzistin Eleanor muss sich ihrem ehemaligen Arbeitgeber (der Abtei bzw. dem bösen Kult) entgegenstellen und die Hexe Magilou will eigentlich gar nichts. Animetypisch ist die Story in sogenannte «arcs» aufgeteilt: jeder Charakter bekommt im Verlauf der Geschichte «seinen» Moment, in dem sein/ihr Problem mehr oder weniger befriedigend aufgelöst wird. Der grösste «arc», bzw. der «overarching plot» ist dabei Velvets Kampf gegen ihren Schwager Arthur gewidmet, der die «arcs» aller anderen Charaktere mit einschliesst. Jeder, der einmal mit Anime/Manga in Berührung gekommen ist, wird in den Figuren auch sofort die üblichen Archetypen erkennen (Schwertkämpfer, Pirat, Harlekin …). Auch Velvet entspricht einem Archetyp, den man aus Mangas kennt: dem der «grossen Schwester» (Onee-Chan). Es ist folglich nicht schwer, vom Aussehen der Charaktere auf ihre Gesinnung zu schliessen. Die wilden, schwarzen Haare passen zu Velvets eher düsterem Gemüt; die zerrissenen Kleider sollen offensichtlich auf das «Dämonische» hinweisen. Wo TOB andererseits Dezenz walten lässt, ist der Gewaltgrad. Mehr als vereinzelte Blutspritzer sieht man nie, obwohl Velvet ihre Gegner mit ihrem Dämonen-Arm «verschlingt». Insgesamt ist hier jeglicher Realismus abwesend, mehr noch, um sich auf TOB einzulassen, braucht es eine hohe cringe-Toleranz: d.h. die Fähigkeit, so einige peinliche Dialoge und Situationen zu ertragen, die das plakative Storytelling und die übertriebene Charakterzeichnung mit sich bringen. Die verschiedenen Themen, die in jedem Anime(-Game) immer und wieder bedient und auch hier wiederholt werden, wäre ein eigener Artikel wert. Hier nur zwei: 1) irgendeiner der Helden hat immer Hunger, und 2) alles, was mit Bischöfen, Kirchen und Religion zu tun hat, ist böse.
Velvets Hervorbringung
Es scheint nun etwas merkwürdig, hierauf bauend den wohl vorbildlichsten Racheplot aller drei Spiele anzunehmen. Doch hinter den «tropes» von Tales of Berseria liegt, wie ich meine, doch mehr als erwartet. TOB durchbricht einen Teil der üblichen Anime-Klischees zunächst insofern, als dass es den Typus «grosse Schwester» für einmal zur Protagonistin macht, anstatt zu einer Option in einem Dating-Simulator. (Das klingt erst einmal zynisch, aber jeder, der mal in Dating-Sims reingeschnuppert hat, weiss was ich meine …). Nach und nach entfalten sich zudem tiefere Schichten von Velvets Charakter. Während ihrer Reise macht sie z.B. Bekanntschaft mit einem Malak (eine Art Engelwesen der TOB-Welt), der seltsamerweise genau wie ihr verstorbener Bruder aussieht. Er stellt die reine Unschuld dar, ist in diesem Gegensatz und der «Verwandtschaft» zu Velvet ein Katalysator, durch den sich die Abgründe in der damaligen Beziehung zu ihrem Bruder offenbaren. Wir merken: hier haben wir eine Abwandlung des Dad-Plots vor uns. Statt um Vater und Sohn geht es diesmal um Geschwister (ob echt oder nicht), die sich vor dem Hintergrund einer Rachegeschichte aneinander abarbeiten. Wenn man Velvets mütterliche Gefühle für Phi (den Malak) bedenkt, könnte man fast schon von einem Mom-Plot sprechen. Dieser ist aber nicht wie üblich per se an die Rache geknüpft. Auch die anderen Figuren verhelfen dazu, Velvet Tiefe zu verleihen. Die erwähnten Skits erklären zwar meist einfach vorangegangene Cutscenes oder erweitern sie ein wenig, haben aber den Vorteil, dass sie nebensächliche Interaktionen zwischen Velvet und den Charakteren zulassen – etwas, das Figuren von Racheplots oftmals vernachlässigen. Während einem Kratos oder einer Ellie die übrigen Mitstreiter (wenn es überhaupt welche gibt) vielfach nur als Hindernis oder nötiges Mittel zum Zweck gelten, wird Velvet regelrecht dazu gezwungen, mit den anderen zu interagieren und sich so immer mehr mit ihnen auseinanderzusetzen. Überhaupt ist es faszinierend, wie sehr TOB auf diese Interaktionen setzt. Nach jedem Kampf wird etwa ein kleiner Einspieler zum Besten gegeben, in der die Protagonist*innen einander Sprüche an den Kopf werfen. In den Skits geht es manchmal auch einfach um Essen oder Hobbys. U.a. auf diese Weise wird dem Spieler allmählich klar, dass Velvet im Herzen immer noch «das Mädchen vom Lande» geblieben ist, auch wenn sie sich nun anders verhält. In ihrer Rolle stiftet sie Chaos, bringt die anderen aber auch dazu, selbständig zu denken und zu handeln. An der wohl stärksten Stelle des Plots gibt sie zu, dass sie der Verlust ihrer Familie unerträglich schmerzt, und kann ihre kalte Attitüde dank der Unterstützung ihrer Freunde endlich ablegen. Ja, auch das ist ein trope, und zwar der wohl berüchtigste der Anime-Geschichte, «The Power of Friendship». Dank dieser «Kraft» erweisen sich die Helden im kritischen Moment der Story immer als stärker als der Bösewicht, der rein egoistisch handelt. Aber vielleicht ist es gerade das, was Racheplots brauchen, denn es führt ironischerweise dazu, dass Velvet sich sinnvoll weiterentwickelt. In The Last Of Us Part II besteht die Weiterentwicklung Ellies darin, dass sie letzten Endes von ihrer Rache ablässt, was aber das Problem generiert, dass all die vorherigen Opfer umsonst waren. Kratos entlässt zwar nach seinem Tod in GoW III die «Hoffnung» in die Welt (das Licht von Pandoras Büchse), hat aber zuvor schon alles in Schutt und Asche gelegt. In der Anime-Story von TOB fällt die (erfolgreiche) Rachemission zugleich mit der Rettung der Welt zusammen, da durch den Tod Arthurs auch sein Plan stirbt, der Menschheit ihre Leidenschaften zu nehmen und somit zu versklaven. Der letzte Schritt besteht für Velvet darin, sich für das Wohl ihrer Freunde und der ganzen Menschheit zu opfern, indem sie den bösen Gott der Vernunft versiegelt, d.h. sie hinterlässt eine «sündhafte», gefühlsgeleitete, aber lebendige Welt. Damit bricht sie vollends mit ihren ursprünglichen egoistischen Werten, mehr noch, erlaubt all dem, was sie innerlich plagte (Trauer, Verlust) weiterzubestehen, «because that’s what makes us human.» Eine passende Einsicht für jemand Rachsüchtigen, zumal Rache ja gerade versucht, die genannten Gefühle zu tilgen. Ja, auch das «Opfer» des Helden ist ein immer wieder durchgekauter Schinken, macht aber hier Sinn, weil er die Transformation Velvets in einem logischen Dreischritt (Normalo -> Antiheldin -> Heldin) abschliesst. Während also das Rachemotiv von God of War als Rechtfertigung von exzessiver Gewalt dient, das Motiv bei The Last Of US Part II hinterfragt, aber nicht befriedigend aufgelöst wird, geht TOB den Weg der Synthese: die Rache dient als Rechtfertigung, das «Gute» zu tun. Oder anders gesagt: Velvets Rache tötet die übrigen Emotionen und damit die Figurentiefe nicht ab, sondern bringt sie gerade erst hervor.
Kein Platz für Pessimisten

Zwischensequenz im späteren Spiel
Das Thema Gefühle vs. Ratio, das oft für Leidenschaft vs. Nihilismus steht, wird in unzähligen RPGs, aber auch Filmen aufgegriffen und stellt den Hintergrund für so ziemlich jede Hero-Story dar. Selbst Batman steht in seiner Zerrissenheit immer noch über dem Joker, der gar nichts will ausser die Auslöschung jeglicher Werte (Wille ist auf jeden Fall besser als kein Wille.) Für z.B. einen Schopenhauer-Schüler sind diese Storys in ihrer Lebensbejahung schon irgendwie fanatisch. Was Tales of Berseria angeht, können wir in dieser Hinsicht keine philosophischen Neuerungen erwarten, doch Philosophie ist nicht die Hauptsache. Ja, das Gerede über Zusammenhalt, Freundschaft usw. kann nerven. Aber ebenso nervig finde ich einen ewig dahinbrütenden Batman oder eben dauerwütenden Kratos, der nie aus seiner Komfortzone ausbricht. Racheplots neigen dazu, ihre Protagonisten ständig mit grimmiger Miene durch eine dunkle Regennacht stolpern zu lassen und sämtlicher Freu(n)de zu berauben, als wäre das Leben so. Umgekehrt scheint ein strenger Realismus (TLOU2) nicht unbedingt die beste Wahl für eine Katharsis. TOB hat den Racheplot und seine Figur insofern richtig verstanden, als dass der Rachewunsch zwar ein plot device, aber keine Entschuldigung für schlechtes Figurenwriting (und ein abgerissenes Ende) ist. Mit Betonung auf «Figur», denn natürlich liegen zwischen den TOB-Skits und den TLOU2-Dialogen Welten. Auch ist Ellie, vom Standpunkt des Realismus aus gesehen, natürlich die «komplexere» Gestalt als Velvet. Aber der Racheplot braucht keinen Realismus, schon gar keinen Pessimismus, sondern kontrastierende Farbtöne und Stimmungen. Die Rache mag zwar der ursprüngliche Auslöser für die Handlung sein, aber das heisst nicht, dass Hass und Verzweiflung alles dominieren müssen. Als einzige der vorgestellten Figuren lässt Velvet von ihrem Egoismus rechtzeitig ab, worauf die Geschichte doch noch zu einem Happy End mit einer positiven Botschaft kommt, die da lautet: «It’s okay to have feelings.» So simpel das auch sein mag, Tales of Berseria macht damit Rachsucht zum Teil – und nicht Modus – allgemeiner menschlicher Erfahrung. Insofern lässt sich fragen, ob Velvets Geschichte noch eine Rachegeschichte ist, oder die eines Teufels, der den Menschen ihre Seele (zurück)gibt. Aber das würde für ein Spiel, in dem es u.a. um Quiches und Kochen geht, vielleicht zu weit führen.
¹Einfacher als jede Erklärung des Plot-Setups dürfte dieses Video von den ersten Spielminuten sein: