Von JÁNOS MOSER.
Über hundert Stunden Spielzeit, Bosse und Schweissausbrüche später ist es geschafft: mein erster Durchlauf des neuen FromSoft-Games Elden Ring. Darüber zu schreiben, erscheint nach dem Artikel von Baecityroller, der fast alles abdeckt, was es über das Spiel zu sagen gibt, aber noch schwieriger. Ich will vor allem zwei Dinge herauszufinden: inwiefern unterscheidet sich die Dark Souls-Reihe vom neusten FromSoft-Spiel? Und hat sich meine Meinung zu den Souls-Games über die Jahre geändert? Fakt ist: Elden Ring fühlt sich an wie die Kulmination von allem, was das Entwicklerstudio im Verlauf der 10er-Jahre geschaffen hat, und wird dafür von der Fangemeinde frenetisch gefeiert. Der Mix aus Fantasy und (Cosmic) Horror, den die Souls-Reihe seit jeher ausmachte, soll in Elden Ring «die beste aller Welten» ergeben – doch schafft es das Spiel auch wirklich?
Ein Fest für Nerds
Meine damalige Reise in die Welt der FromSoft-Games begann mit Bloodborne, ging über Dark Souls 1 und 2 und endete 2017 vorläufig mit Dark Souls 3. Jedes Spiel hatte seine Stärken: Bloodborne glänzte durch die Originalität seines viktorianischen Horror-Settings, Dark Souls 1 durch seine organische, zusammenhängende Welt, Dark Souls 2 vor allem dank des Multiplayer-Aspekts und Dark Souls 3 dadurch, dass es die in den Vorgängern etablierten Stärken aufgriff und deren Elemente zu einem annehmbaren Ganzen mixte. Diese Mixtur hatte ich damals bemängelt: DS3 fühlte sich für mich nicht (mehr) so neu und frisch an wie z.B. Bloodborne, weil es viele alte Designs wiederverwendete und sich stattdessen lieber darauf konzentrierte, Dark Souls quasi neu abzumischen. Diese in Dark Souls 3 eingeschlagene Richtung des Fine-Tunings verfolgt nun Elden Ring konsequent weiter: zwar ist die Einbettung des Souls-Prinzips in eine Open World ein Novum für die FromSoftware-Serie, doch insgesamt werden auch hier die bewährten Prinzipien zu einem Stück vermischt: Der seit Bloodborne bekannte Gothic Horror hält auch hier wieder seinen Einstand, und die sogenannten «Legacy Dungeons», den grossen Gebieten also, in denen die Haupt-Bosse von Elden Ring residieren, wären auch in Dark Souls 3 nicht fehl am Platz. Ist das ein Fehler? Kommt drauf an. So entsteht jedenfalls exakt das Spiel, das sich fast jeder Nerd gewünscht hat (vielleicht abgesehen von der Star Wars-Fanbase): Man nehme die beiden populärsten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts (Lovecraft und Tolkien), erschaffe aus deren Welten eine einzige gigantische D’n’D-Kampagne und drücke dem Spieler hunderte Waffen und Zaubersprüche in die Hand. Und da sich das Prinzip der Open World ungebrochener Beliebtheit erfreut, kommt die eben auch noch rein. Es ist eigentlich wirklich erstaunlich, wie Nerds auf bestimmte Reize konditioniert werden, und FromSoftware hat das Anzapfen von jahrelang Tolkien-indoktrinierten Gehirnströmen zur Kunstform erhoben. Aber dieses unglaublich gekonnte «catering» hat auch einen Preis.
Grösser gleich besser?
Wie Baecityroller richtig bemerkt, ist auch Elden Ring im Grunde genommen ein Dungeon Crawler, nur: diesmal ist das «Dungeon» so gross, dass einige – und damit meine ich vor allem mich – auch gewisse Ermüdung verspüren könnten. Dabei liegt es nicht an schlechtem World-Building. Im Gegenteil ist diese Welt sogar ausgesprochen faszinierend. Nur: sie ist furchtbar gross. Je mehr Spielstunden, desto mehr Spielspass, scheinen sich die Entwickler gedacht zu haben – und so denkt wohl vor allem auch das Publikum, das bedient werden soll. Schliesslich will man ja etwas fürs Geld. Leider geht diese Rechnung für mich nicht ganz auf. Besonders dann, wenn ich merke, dass ich nach dem fünfzigsten Mini-Dungeon so langsam die Lust verliere. Zwanzig bis dreissig Spielstunden weniger Inhalt hätten dem Game gut getan, change my mind. Wer indessen mit enttäuschtem Kopfschütteln ein Skyrim erwartet, hat auch nicht ganz Recht; Elden Ring bewahrt genug Souls-DNA, zum Beispiel sind die Quests so kryptisch wie eh und je. Zwar wird man neuerdings viel Zeit damit zubringen, auf einem «Pferd» (eher eine Art Schaf) über eine gigantische Oberwelt zu reiten, das Kernstück des Spiels sind aber die schon genannten «Legacy Dungeons». Zwar erreichen diese nicht ganz die intime Komplexität der Gebiete in Dark Souls, sind von der Grösse her aber durchaus mit Levels wie Lothric Castle vergleichbar, wenn nicht sogar noch grösser. In Elden Ring wird geklotzt statt gekleckert, und das zeigt sich auch in den Distanzen. Fand man in Dark Souls noch das ein Schwert hinter der einen Ecke und einen Zauberstab hinter der nächsten, wird man in Elden Ring für den Erhalt einer Zauberschriftrolle schon mal einen ganzen Turm erklimmen müssen. Ähnlich grossk(l)otzig verhält es sich mit den Bossen. Über hundert davon soll FromSoft in Elden Ring gepackt haben, was ja erstmal toll klingt – doch bei genauerem Hinsehen sind nur eine Handvoll davon einzigartig. Beide Aspekte würde ich unter dem Begriff «Verdünnung» sammeln: Elden Ring ist ganz einfach so ambitioniert, so gross, dass vereinzelte Momente zwischendurch langweiliger, weniger «impactful» erscheinen, als sie es noch in kleineren Projekten FromSofts taten. Durch das Erschliessen neuer Käufer*innen (etwa solche, die Open Worlds mögen) geht zwangsläufig ein wenig von der Intimität verloren, die enge Beziehung zwischen Spieler und Welt, die man noch in Dark Souls aufbaute.
Open World-Revolution?
Bei der Gestaltung der Welt hat sich Elden Ring – wie eigentlich fast jedes Fantasygame – klar bei Tolkien bedient: Die Hauptstadt sieht aus wie Minas Tirith, der Haligbaum wie Lothlórien. Dann gibt es die typischen Open World-Biotope wie Vulkan und Eislandschaft, was zunächst langweilig klingt und stellenweise auch ist. Aber abseits von diesen alten Bekannten gibt es noch ganz andere, originelle Gebiete, die einen für den Tolkien-Brei vollends entschädigen, zum Beispiel die monströse, alienartige Welt von Caelid oder die unterirdische Stadt Nokron. Elden Ring fühlt sich an wie eine verzerrte Vision einer High-Fantasy-Welt, die sich aus Erinnerungen, Bruchstücken des Genres, aber auch Lovecraft-Horror zusammensetzt. Zum Erfolg von Elden Ring verhilft indes, dass diese Welt im Gegensatz zu vielen anderen Game-Welten letztlich dennoch spannend zu durchqueren bleibt. Das fühlt sich umso besser an, wenn man bedenkt, dass die letzten paar Open World-Games wie Cyberpunk 2077 auf ganzer Linie enttäuschten. Statt einer Assassin’s Creed-Welt mit hunderten langweiligen Questmarkern gleicht diejenige von Elden Ring eher Spielen wie Breath of the Wild: auch hier wird man nicht von Aufgaben überschwemmt, sondern kann frei erkunden und immer wieder etwas Neues entdecken. Geführt wird der Spieler bzw. die Spielerin nicht durch aufploppende Fragezeichen, sondern interessante Schauplätze, die man sich aus purer Neugierde genauer ansehen will. Elden Ring, so tönt es deshalb aus manchen Ecken, wird das Konzept «Open World» revolutionieren. Das glaube ich wiederum nicht. Obwohl die Welt besser ist als fast alles, was die Konkurrenz in den letzten zehn Jahren abgeliefert hat, leidet das Spiel insgesamt einfach zu sehr – und ich wiederhole diesen Punkt, weil er mich einfach zu fest aufregt – am Boss-Recycling. Es ist einfach langweilig und nervig, wenn man denselben Boss in minimen Variationen zum fünften Mal besiegen muss oder, noch schlimmer, wenn einem beim nächsten Kampf einfach zwei statt einer vorgesetzt werden. Sogar zwei der Hauptbosse sind im Grunde ein- und derselbe Typ – das ging vielleicht noch in Diablo, ist aber in der Gaming-Ära 2022 ein absolutes No-Go.
Blick auf die Ruine
Das klang jetzt furchtbar resigniert und frustriert. Zum Schluss möchte ich aber trotzdem noch einmal die Stärke von Elden Ring betonen. Nach den vielen leeren Marketing-Versprechungen der letzten Jahre (No Man’s Sky, Cyberpunk) bekommt man hier quasi für einmal genau das, was die Entwickler intendiert haben: dieselbe Formel, einfach in «grand scale». Die Fusionierung der Open World mit dem Dark Souls-Prinzip ist eine logische Erweiterung, die von vielen Spielern erwartet wurde. Dafür wird mir umso klarer, was eigentlich der Kern der früheren Souls-Spiele war: nämlich gerade nicht die Flächigkeit einer «Open World», sondern das Versponnen-Labyrinthartige, Tiefe, Vertikalität. Im Angesicht von Elden Ring vermisse ich diese Einzigartigkeit ein wenig, und ja, über die Jahre hatte ich sie schätzen gelernt. Andererseits ist mir durchaus bewusst, dass ein Dark Souls 4 wohl nicht die Lösung gewesen wäre. Oder: warum war man nicht einfach einen komplett neuen, vielleicht noch unzulänglicheren Weg gegangen? Die Unzulänglichkeit war doch immer auch Teil dieser Serie; sie hätte bestimmt keine neuen Käuferschichten erschlossen, aber dafür wäre der Ansatz interessant und frisch geblieben. Folge ich Baecityrollers Ruinentheorie, so könnte man vielleicht sagen, dass Dark Souls und Elden Ring unterschiedliche Blickwinkel auf den ruinösen Bau gewähren. Bewegte man sich in den Souls-Spielen noch tief im Inneren der Ruine und ging dabei verloren, so tritt Elden Ring einen Schritt zurück und lässt einen das Bauwerk von der Ferne betrachten, sodass man sich einen besseren Überblick verschaffen kann. Indem ich diesen fernen Blickwinkel habe, wird der Gegenstand der Betrachtung aber auch verständlicher und verliert etwas von seiner spannenden Monstrosität, trotz des bedeutungsschwangeren Überrests, den die Souls-Games immer gerne bemühen. Fazit: Mit Elden Ring bekommt man nicht zwangsläufig die beste aller Welten – wer will schon in so einer Welt leben? – aber eine, in der auch bisherige Skeptiker (um den Preis der Einzigartigkeit) zu leben lernen mögen.
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