Von JÁNOS MOSER.
«The legacy of the crystals has shaped our history for long enough.» Das ist der neue Slogan für Final Fantasy XVI. Klingt nicht weiter aufregend. Doch Fans der langlebigen RPG-Reihe wissen: hier wird nicht nur auf die Vergangenheit der Spielwelt Bezug genommen, sondern auch auf die der Serie selbst. Denn seit dem ersten, 1987 erschienenen Teil von Final Fantasy drehen sich die Games, obwohl jeder Teil eigenständig ist, immer wieder mal um das Thema Kristalle. Diese sind oftmals den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde zugeordnet und stehen für das Gleichgewicht der Welt; die vier Kräfte bilden sozusagen den «Urstoff», auf dem alles aufgebaut ist. Solche Urstoffe sind natürlich keine Erfindung von Final Fantasy, sondern finden sich wiederholt in über zweitausend Jahren Philosophiegeschichte. Wie nimmt FF Bezug zu (mir) geläufigen Theorien darüber, was die Welt «im Innersten zusammenhält»? Ein Versuch, sich beim Ansatz einer Erklärung nicht zu blamieren.
Die vier Elemente
Gemessen an Videospielgeschichte, ist die FF-Serie schon uralt. Es ist daher sicher nicht verkehrt, bei den «Alten» anzufangen. Die Vorsokratiker suchten nach der sog. archḗ, dem Urgrund oder dem Anfang aller Dinge, dem, woraus sich die bestehende Welt ableitet. Fündig wurden sie u.a. in der Natur selbst, etwa bei einzelnen Elementen: Für Thales war «Wasser» der Urstoff, für Anaximenes «Luft». Heraklit setzte die verborgene Einheit von Gegensätzen bzw. die Veränderung als erstes Prinzip, symbolisiert durch Feuer. Wieder andere, wie Parmenides, hielten alles Werden für blossen Schein und die wirkliche Welt für unveränderlich. Für die «Atomisten» bestand die Welt aus kleinsten Teilchen, geschenkt. Empedokles führt schliesslich die Gedanken mehrerer Schulen zusammen und formuliert die Vier-Elemente-Lehre, mit dem Prinzip «die Mischung macht’s»: Federn bestehen vorwiegend aus Luft, Steine vor allem aus Erde und Bergkristalle enthalten viel Wasser. Auch für Menschen gilt dieses individuelle Mischprinzip, so hat ein Trinker eine «feucht gebliebene Seele». Ebenso sollten Krankheiten durch Zufuhr des jeweils fehlenden Elements über die Nahrung kuriert werden. Empedokles hatte den Stoffen jeweils eine griechische Gottheit zugeordnet; für Platon gehörte zu jedem Element ein bestimmter geometrischer Körper (Luft – Oktaeder; Feuer – Tetraeder; Erde – Würfel; Wasser – Ikosaeder). Im aristotelischen Weltbild waren die Elemente um den Erdmittelpunkt angeordnet (mit dem Äther als fünftem Element). Auch die Alchemie und Esoterik bedien(t)en sich gerne bei diesen Lehren. Im 16. Jahrhundert klärt uns Paracelsus über die Elementarwesen auf (Luft – Sylphe; Feuer – Salamander; Erde – Gnom; Wasser – Undine).

Darstellung von Empedokles‘ vier Elementen aus De rerum natura, Tommaso Ferrando (1472)
Kristallines Gleichgewicht
Dieses Namedropping reicht natürlich nicht, um die einzelnen Theorien in ihrer Tiefe (naja, falls vorhanden) zu verstehen. Aber das war auch nicht das Ziel dieser kurzen Aufzählung; sie sollte vielmehr verdeutlichen, dass sich Final Fantasy bezüglich des «Urstoffs» auf bereits Bekanntes bezieht. Dem Genre entsprechend macht es sich das vergangene Weltwissen aber nur zu eigen, um es zu romantisieren. Epistemologie ist zugleich Ästhetik und Ethik. Das Wissen über die Welt fällt mit einer vorbildlichen Lebensweise im Einklang mit dem «Urstoff» oder der Natur zusammen. In Final Fantasy I hat alles seinen Platz: Die Zwerge (Gnome) leben unter dem Einfluss des Erdkristalls, die Meerjungfrauen unter demjenigen des Wasserkristalls usw. Alles ist gut, zumindest so lange, bis die sogenannten «Chaosse» auftauchen, mythische Monster, die sich in den Kristallschreinen einnisten und diese dadurch «verdunkeln». Mithilfe ihrer eigenen Kristalle (im Original: «Orbs») müssen die vier «Krieger des Lichts» (die Spieler-Party) die Monster besiegen, den Glanz den Elementarkristalle wiederherstellen und so das Böse aus der Welt vertreiben. So weit, so simpel. Doch was hat die «Verdunkelung» der Elementarkristalle zur Folge? Im Intro des NES-Titels heisst es: «The world is veiled in darkness. The wind stops, the sea is wild, and the earth begins to rot. […]» Sind die Manifestationen der «Urstoffe» in Gefahr, gerät die Natur selbst aus den Fugen. Feuer, Wasser, Erde und Wind sind, ebenso wie ihre Repräsentationen, die Kristalle, weltimmanent. D.h. sie können durch den Menschen auch gestört, ja sogar ganz zerstört werden. Dass die Repräsentation einer Kraft zugleich die Kraft selbst ist, das Zeichen sozusagen für das Ding an sich steht, ist für ein Fantasygame nicht untypisch. Mit den Vorsokratikern gedacht, würden die Kristalle vielleicht so etwas wie ursprüngliche Aggregatszustände ihres jeweiligen Stoffs bilden. Man könnte auch sagen, dass sie Substanzen sind, die sich auf magische Weise aus dem Weltgemisch herauskristallisiert haben. Ergo: der Traum eines jeden Philosophen.
res crystallus
Substanz (ousia) und archḗ sind insofern miteinander verwandte Begriffe, als dass sie Ähnliches bezeichnen: ein «eigentlich Seiendes», das hinter der Welt der (trügerischen) Erscheinungen steckt. Bei Platon besteht das eigentlich Seiende aus den unveränderlichen «Ideen», die über der wandelbaren Welt der Dinge schweben, d.h. die Idee «Tisch» vereint alle einzelnen Tische, die kurz, lang, gross oder klein sein können. Bei Aristoteles ist das eigentlich Seiende die Substanz, die buchstäblich «unter» (sub) den Dingen steht, wie eine Art primärer Baustoff, aus dem die aus Form und Materie zusammengesetzten Einzeldinge gemacht sind. D.h. anders als bei Platon steckt das «eigentlich Seiende» schon in den Dingen selbst. Descartes unterschied zwischen zwei Substanzen, der res extensa (ausgedehnte Substanz) und der res cogitans (denkende Substanz). Daraus entstand die populäre Trennung von Körper (ausgedehnt) und Seele (denkend). Die erste denkende Substanz ist die Gottes. Zugegeben, das klingt im Zusammenhang mit Final Fantasy nun alles wenig zielführend. Denn die frühen Teile geben uns weder eine bestimmte Erkenntnistheorie noch Subjektlehre an die Hand, in denen der Begriff Substanz eine Rolle spielen könnte. Zwar sind wir, wie in Final Fantasy V, u.a. in Bibliotheken unterwegs und sprechen mit Gelehrten, aber keiner von ihnen verrät uns, wie der Mensch bzw. die Dinge in der FF-Welt «eigentlich» zu verstehen sind. Die FF–Games der Achtziger und Neunziger sind sozusagen bei den ionischen Naturphilosophen stehengeblieben, die das Urprinzip noch nicht so abstrakt – und vor allem als beobachtbares Phänomen – dachten. Um die Welt zu retten, benötigen wir in FFI nichts weiter als das Wissen um die vier Elemente, die als Kristalle sichtbar in ihr sind. Selbiges gilt auch für die weiteren Ableger. Final Fantasy III unterscheidet zwischen vier «Lichtkristallen» und vier «Dunkelkristallen», unter denen das Gleichgewicht gewahrt werden muss. Auch im vierten Teil gibt es insgesamt acht Kristalle, die der Bösewicht Golbez an sich reissen will, um mit deren Hilfe grosse Macht zu erlangen. In Final Fantasy V führt die Zerstörung der Kristalle nicht nur zum Versiegen des entsprechenden Elements, sondern auch zur Befreiung eines bösen Zauberers namens «Exdeath». Dass die Kristalle, die immerhin für einen essenziellen Teil der gesamten Welt stehen, wie im Beispiel von FFIV mitunter einfach so in die Hosentasche gesteckt werden, mag zunächst befremden. Doch sie sind nicht bloss Zeichen oder Symbole. Die Kristalle bilden zwar die Elemente ab, aber wie das Beispiel von FFI bis FFV zeigt, sind sie zugleich diese Elemente. Die Naturkräfte, die in der Welt walten, kristallisieren sich in ihnen, und zugleich sind die Naturkräfte von dieser Kristallisation abhängig. Es macht also durchaus Sinn, hier den Substanzbegriff zu verwenden. Man könnte von einer «res crystallus» sprechen, die die Natur zugleich bedingt und schafft. Die Kristallsubstanz ist allerdings (noch) nicht mit einem Gott gleichzusetzen, der die Geschicke der Welt von ausserhalb lenkt. Götter erscheinen in Final Fantasy – und japanischen Rollenspielen allgemein – fast immer als Usurpatoren, welche die Naturmächte der Welt entreissen und an sich binden wollen. Sie wollen die gegenseitige Bedingtheit der Kristalle und der Welt ausser Kraft setzen und sich als alleinige Bedingung alles Seienden inthronisieren. Entsprechend sind sie die Feinde der «res crystallus».

Die vier Elementarkristalle aus dem GBA-Remake Final Fantasy I & II: Dawn of Souls (2004)
Gaia und Terra
Seit den Anfängen sind die FF-Spiele nicht nur komplexer geworden, sondern haben auch das Storytelling in Games revolutioniert. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Entwickler irgendwann auch die vorsokratische Philosophie hinter sich gelassen haben. Spätestens seit Final Fantasy VI dominieren nicht mehr Kristalle und Elemente das Weltgeschehen, sondern im weitesten Sinn ökologische oder gesellschaftliche Fragen. In FFVI versucht ein böses Imperium, die Kraft der Magie aus Lebewesen namens «Esper» zu extrahieren, was zu Krieg und Zerstörung führt. FFVII rekurrierte auf die Idee eines «Lebensstroms» des Planeten, der von einem skrupellosen Konzern angezapft wird. Teil 9 war der bislang letzte FF-Ableger, in dem ein Kristall eine prominente Rolle spielt, sieht man vom kommenden PS5-Grafikspektakel ab. Daher behandle ich diesen Teil etwas ausführlicher. Zunächst zur Geschichte und zum Aufbau der Welt: FFIX ist auf einem Planeten namens Gaia angesiedelt, der von einem seltsamen Nebel unbekannten Ursprungs bedroht wird. Die Hauptrolle spielen Zidane, ein gutmütiger Räuber, und Garnet, die Prinzessin des Reiches Alexandria. Zwecks Lösegeld entführen Zidane und seine Räuberbande die Prinzessin, nur um festzustellen, dass ihre Mutter, die Königin, wenig Interesse am Wohlergehen der Tochter zu haben scheint und stattdessen kriegerische Eroberungspläne verfolgt. Während Garnet sich auf die Seite ihrer Entführer stellt, die das Schlimmste verhindern wollen, entpuppt sich Kuja, ein mysteriöser Fremdling, als eigentlicher Drahtzieher hinter den Kriegsplänen. Er stellt den Hauptbösewicht dieses FF-Teils dar, ist aber, wie sich später herausstellt, auch nur ein Bauernopfer: denn er wurde – wie Zidane – von Garlant erschaffen, dem Bewohner eines fremden, sterbenden Planeten, der auf der Suche nach anderen Planeten durch das Weltall gereist ist. Sein Ziel ist es, die leeren Körper der Terra-Bewohner mit den Seelen Gaias zu füllen, um das Weiterleben seines Volkes zu gewährleisten. Da die gaianischen Seelen erst nach dem Tod des Körpers von Terra aufgenommen werden können, sollte Kuja für das ganze Kriegschaos sorgen; der Nebel, der die Welt bedroht, stellt sich als Nebenprodukt der terranischen Seelenabsorption heraus. Gegen Ende des Spiels eröffnet Garlant Kuja, dass dieser als simples Werkzeug nur über eine sehr begrenzte Lebenszeit verfügt und bald sterben soll. In existenzieller Verzweiflung darüber läuft Kuja Amok und will nicht nur Gaia und Terra, sondern die gesamte Existenz auslöschen. Dazu reist er zum Ursprung aller Schöpfung, dem «Kristall». Hier entscheidet sich der Endkampf, den Zidanes Truppe natürlich gewinnt. FF-typisch folgt nach dem Sieg über Kuja noch die Konfrontation mit einem grösseren Endgegner, aber den lassen wir hier mal weg.
Vereinte Schöpfung
Was ist nun dieser Kristall in Final Fantasy IX? Zunächst fällt auf, dass seine Funktion als Utensil wegfällt. Er ist nicht mehr in Eroberungspläne einzelner Königreiche eingebunden, insofern er in jemandes Besitz kommen und Vorteile verschaffen könnte. Seine Dimensionen widerspiegeln diese neu gefundene Rolle: wie der Elfenbeinturm aus der Verfilmung der Unendlichen Geschichte (1984) schwebt er inmitten der Schwärze des Weltalls, fern der Schöpfung und doch in ihrem Zentrum. Die «Kristallwelt» bildet den letzten Dungeon des Spiels, wo man über und durch die äussere und innere Struktur des riesigen Gebildes wandert. Bevor die Protagonist*innen diese Welt erreichen, müssen sie den Ort Memoria durchqueren, eine Art Manifestierung der Erinnerungen der Planeten Gaia und Terra. Alle jemals existenten Einzeldinge sind hier miteinander verbunden. So erblicken Zidane und seine Freunde etwa die Illusion eines Ozeans, worauf Zidane bemerkt, er würde sich daran «erinnern», dass ganz Gaia einst von Wasser bedeckt war – obwohl er von Terra stammt, in einem viel späteren Zeitalter geboren wurde und somit eine solche «Erinnerung» gar nicht haben kann. Es ist ein Anzeichen dafür, dass sie sich dem Zentrum der Schöpfung nähern – eben dem Kristall – in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft alles Lebendigen zusammenfällt und alle vermeintlich getrennten Identitäten in demselben Seelenstrom aufgehen, aus dem das Leben hervorgeht.

Zidane und der Kristall in Final Fantasy IX (2000)
Die eine Substanz
«So gibt jeder Sterbende der Erde ein erhöhteres, entwickleteres Elementarleben zurück, welches sie in aufsteigenden Formen fortbildet; und der Organismus, indem er immer entwickletere Elemente in sich aufnimmt, muss dadurch immer vollkommener und allgemeiner werden. So wird die Allheit lebendig durch den Untergang der Einzelheit, und die Einzelheit lebt unsterblich fort in der Allheit, deren Leben sie lebend entwickelte, und nach dem Tode selbst erhöht und mehrt, und so durch Leben und Sterben die Idee der Erde realisieren hilft.» Dieser Ausschnitt aus einem Brief (1806) von Karoline von Günnerode könnte ein random Zwischenruf aus der Zeit der Romantik sein, wenn er dem grundlegenden Gedanken des wirren Planeten-Plots von FFIX nicht so nahe läge (okay, vielleicht ist es ein random Zwischenruf). Anyway: Natürlich bezieht sich die klassische Fantasy westlichen Zuschnitts sehr häufig auf romantische (mitteleuropäische) Ideen bzw. solche des 19. Jahrhunderts, insbesondere ein Spiel wie FFIX, das wie ein Grimm-Märchen beginnt. Hat die weiterentwickelte «res crystallus» ihre Wurzeln in einem Novalis-Fragment? Das wohl kaum. Nichtsdestotrotz ist die Frage berechtigt, ob sich in der Philosophie vielleicht ein Substanzbegriff finden liesse, welcher mit der FFIX-Kristallsubstanz vergleichbar ist und sich sowohl von der alten Naturphilosophie als auch Platon und co. unterscheidet. Mein Vorschlag: Spinoza. Anders als bei Descartes sind die denkende und die ausgedehnte Substanz bei Spinoza nicht getrennt, sondern bilden eine einzige, die zugleich die erste («Gott») ist. Das heisst: Denken und Ausdehnung sind nicht als verschieden aufzufassen, sondern als zwei Attribute ein- und desselben, die sich wiederum in verschiedenen Modi (Ideen und Körper) manifestieren. Der Körper und die Idee des Körpers sind eigentlich identisch, insofern die Substanz einmal unter dem Aspekt der Ausdehnung und einmal unter dem Aspekt des Denkens betrachtet wird. Daraus folgt, dass «Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen […] dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge [ist].» So wie in der Körperwelt keine Wirkung ohne Ursache bestehen kann, so ist in der Geisteswelt kein Entschluss ohne Motiv möglich. Es herrscht kosmische Notwenigkeit und somit eigentlich keine Willensfreiheit. Im Gegensatz zur klassischen Theologie steht Spinozas Substanz auch nicht als transzendente Ursache über allem, sondern ist immanent, d.h. Gott und die Natur sind eins. Selbst Spinozas Ethik baut auf den Substanzbegriff auf: Affekte wie Hass, Neid usw. sind lediglich Folge «inadäquater Ideen», da diese von einem der verschiedenen vergänglichen Modi der Substanz ausgehen, nicht aber das grosse Ganze erblicken, in dem alle Menschen zum selben Ewigen gehören. Vergleichen wir den spinozistischen Substanzbegriff mit Final Fantasy IX, so lassen sich schnell Parallelen feststellen: zwar scheint die «res crystallus» auf eine Art der Welt enthoben, doch nur auf die Weise, als dass sie nicht richtig erkannt wird. Das Ganze der Schöpfung herrscht in unterschiedlichen Modi vor, wird dann aber zusammengeführt (vermeintlich «fremde» Erinnerungen in verschiedenen Körpern), der Quell des Seelenstroms ist zugleich Festkörper (Kristall). Die Figuren aus FFIX erscheinen uns als determiniert, selbst ein Schöpfer wie Garlant, der erfolglos gegen die «natürliche Lebensspanne» seines Planeten zu kämpfen versucht. Die Vier-Elemente-Lehre der früheren FF-Ableger wurde durch ein einziges Element (die eine Kristallsubstanz) ersetzt, die alle Lebewesen durchströmt. Es ist daher nur logisch, dass Kuja als Bösewicht letztlich scheitert, weil er vom Modus (seiner Vergänglichkeit) und nicht von der ewigen Substanz aus denkt. Zuletzt hat die findige deutsche Übersetzung für die Akzentuierung der Allheit gesorgt: nicht von «der Kristall» (Festkörper) ist die Rede, sondern «das Kristall» (Stoff), was mir mit 16 Jahren, als ich FFIX das erste Mal spielte, einiges Kopfzerbrechen bereitete.

Streifzug durch die Kristallwelt von FFIX
Die Zukunft der Kristalle
Das war ganz schön viel und ziemlich abstrakt, das gebe ich zu. Wir kamen in kurzer Zeit von Thales zu Spinoza, von Nintendo zu Gott und von Playstation zur Romantik. Über die Einzelheiten, wie sich Spinozas Substanz mit Final Fantasy IX zusammenführen lässt (und ob überhaupt), könnte man noch streiten. Aber im Grunde geht es darum, dass die FF-Games unsere modernen Vorstellungen vom freien Menschen in der Welt herausfordern. Für fast alle FFs gilt, dass sie einen ganzheitlichen Blick auf die Natur propagieren. Kapitalistische Partikularinteressen sind ebenso schädlich wie einseitige theologische Heilsversprechen durch irgendwelche Götter. Und was könnte die Ganzheitlichkeit, die «eine Substanz», besser repräsentieren als ein gigantischer Seelenkristall, der irgendwo im Nichts schwebt? Nun, die Kristallidee hat sich vielleicht mit Spinoza erschöpft; auf alle Fälle haben Kristalle seit FFIX nicht mehr die welttragende Rolle gespielt. Womöglich wird sich das mit FFXVI wieder ändern, auch wenn der Slogan das Gegenteil behauptet. Ob die «res crystallus» in Zukunft noch weitere Abwandlungen erwartet? Ich weiss es nicht. Andererseits bleibt auch die Frage, ob FF in den Momenten, wo philosophische Fragen ins Spiel kommen, unbedingt so ernst genommen werden sollte. Letzten Endes läuft es vielleicht einfach darauf hinaus, dass das Böse böse ist und das Gute gut.
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