Freies Feld

Cineastische Spiele

Gastbeitrag von MATTHIAS HASLER.

Cineastische Spiele gehören schon länger zu den Genres der modernen Videospieleunterhaltung. Spätestens mit „Fahrenheit“ betrat das Genre die Bühne. Die unangefochtenen Meister dieses nach wie vor nischigen Genres sind das französsiche Entwicklerstudio Quantic Dream und die kalifornische Spieleschmiede Telltale Games.

Film oder Spiel?

Also cineastische Spiele heissen so, weil sie „filmische“ Spiele sind. Was anno 2005 noch für Empörung sorgte, ist heute definitiv anerkannt: Die Spiele unterhalten schlichtweg wegen ihren guten Geschichten und der „spielerische Einschnitt“ ist nur auf den ersten Blick vorhanden. Erstens handelt es sich eindeutig um „Videospiele mit Film-Charakter“ statt „Filme mit Videospielcharakter“ und zweitens ist es im Kern häufig doch, was auch andere Spiele sind. Spiele sind im Grunde der Dinge eigentlich nichts weiter als die richtige Taste zur richtigen Zeit zu drücken und cinestische Spiele sind das mit ihren doch recht häufigen Quicktime-Events natürlich auch. Nur eben anders inszeniert.
Im Gegensatz zu anderen Videospielen liegt der Fokus weder auf dem Erkunden einer Welt, dem Perfektionieren des eigenen Charakters mittels Level-Ups oder dem möglichst effizienten Töten von Gegnern, sondern schlicht weg in der Geschichte selbst. Eine Definition ist von jedem Genre schwer, aber ich will es natürlich versuchen.
Diese verändert sich durch die Entscheidungen des Spielers. Der Clou dabei ist, dass diese Entscheidungen häufig sogar unausgesprochen bleiben. Erreicht der Spieler innerhalb eines Szenarios etwas Bestimmtes, wird Szenario A als nächstes Kapitel folgen. Wenn nicht, dann eben Szenario B. Alternativ wird der Spieler in Textform zu einer Entscheidung gebeten. Weil das zu einfach ist, ist das häufig in psychologische und moralische Dilemmas eingebettet.
Hältst du zu jemandem, weil seine Motive zutiefst nachvollziehbar oder menschlich sind, oder verurteilst du ihn, weil du als Gesetzeshüter ihre Verbrechen verfolgen musst? Zu dem moralischen Dilemma kommen häufig noch weitere Überlegungen: Nehmen wir The Wolf among us. Glimmer ist ein Substanz, mit der die Fabelwesen New Yorks vorübergehend eine menschliche Gestalt erhalten. Wer keine menschliche Gestalt hat, wird von der Polizei, also in Form des Protagonisten, dem bösen Wolf, ohne Rücksicht ausgeschafft. Glimmer wird aber immer teurer, sodass sich viele Fabelwesen New Yorks ihre menschliche Gestalt nicht mehr leisten können.
Schafft du deine Freunde aus, weil sie sich die menschliche Erscheinung nicht mehr leisten können, so wie es das Gesetz verlangt? Was tust du, wenn du jemanden findest, der Glimmer illegal für Arme herstellt, und gleichzeitig scheinbar in mafiöse Strukturen integriert ist?
Wie in der Realität werden auch in cineastischen Spielen häufig keine einfache Fragen gestellt. Im Gegensatz zu der Realität hat der Spieler aber nur wenige Sekunden Zeit um sich eine Meinung zu bilden und eine Entscheidung zu fällen, die offensichtlich das Leben der „Mitmenschen“ beeinflussen wird.

Der eigene Blockbuster

Obwohl cineastische Spiele häufig voller Entscheidungen sind, sind die Konsequenzen doch übersichtlich. Die Geschichte ist so geschrieben, wie sie ist. Der Ton oder Details werden sich ändern, aber die Geschichte bleibt natürlich dasselbe. Ein NPC mag überleben, oder ein anderer mag vielleicht Narben wie ein für immer erblindetes Auge davon tragen und wieder andere sind dir in Nuancen freundlicher oder feindlicher gesinnt, aber grundsätzlich ist ihre Rolle fix.
Der Charme der cineastischen Spiele besteht aber, neben den psychologischen Dilemmas, auch darin, dass sich der Spieler seine eigene Welt schafft: Die Charakter werden auf seine Handlungen reagieren und die Handlung selbst reagiert in ihrem Grundton auf die Spielweise des Spielers. Das erreichte Ende ist meistens eines von sicher gegenüber hundert mit all den kleinen Details, aber es ist nun mal das Ende des Spielers. Natürlich kann man das Spiel ein weiteres Mal spielen um ein noch besseres Ende zu erreichen, aber am Ende des Tages ist es das erste erreichte Ende, dass all die „echten“ Entscheidungen des Spielers beinhaltet.
Die Inszenierung des Spiels bewegt sich dabei immer ausnahmslos auf dem Niveau eines Films. Egal ob bei The Wolf amog us mit seiner zugleich orientierungslosen und egoistischen Gesellschaft, oder das gefühlvolle, traurige und doch hoffnungsvolle Beyond two souls. Hevay Rain spielt, weil es den Spieler in einen Psycho-Triller schickt, aufgrund seines bombastischen Soundtracks und dem intelligenten Story-Telling sowieso in einer eigenen Liga.
Kurzum: Cinestische Spiele erlauben dem Spieler in die Rolle eines Film-Helden (oder durchaus auch Heldin) zu schlüpfen und aufgrund der eigenen Entscheidungen oder des eigenen Geschicks den Fortlauf der Geschichte zu prägen.

Film oder Serie?

Wer die Glotze anschaltet, wird grundsätzlich fünf Dinge vorfinden: Filme, Serien, Nachrichten, Werbung oder ach so spannendes Reality TY. Cineastische Spiele bewegen sich sowohl im Bereich „Film“ als auch im Bereich der Serien.
Die Spiele von Quantic Dream sind grundsätzlich komplett und werden mit echten Schauspielern erstellt. Sie sind einerseits hochwertig, aber andererseits auch nicht sonderlich teuer, da es sich bei den cineastischen Spielen nach wie vor um eher „nischigere“ Spiele handelt.
Die Spiele von Telltale Games sind dagegen eher Serien. Das bedeutet, eine Episode erscheint nach der anderen und dazwischen liegen manchmal Monate. Und zwischen den Staffeln können gar ganze Jahre liegen, wobei keineswegs garantiert ist, dass jemals noch eine Fortsetzung (und damit ein Ende) erscheint. Ja, ich bin kein Freund der Episoden-Titel, selbst wenn man komplette Staffeln in der Regel vergünstigt zusammen kaufen kann. Der Hauch von Abzocke, weil man jede Episode nun mal separat kaufen muss, liegt nun mal in der Luft. Gleichzeitig muss man aber auch daran denken, dass gerade für kleinere Unternehmen eine Veröffentlichung in Episoden-Format Vorteile bringt: Ein noch nicht beendetes Spiel bringt damit bereits Geld ein und finanziert die zweite Episode.
Trotzdem ist es natürlich, wie bei der ganzen DLC-Problematik, jedem selbst überlassen, was er warum finanzieren und somit unterstützen möchte.

Fazit

Auf einem spielerischen Niveau ist das Ganze sicher nie so anstrengend wie in einem anderen Spiel: Der Spieler hat immer nur ein sehr beschränktes Feld, in dem er sich bewegen kann und wie gesagt, Entscheidungen treffen oder Ziele erreichen kann. Die Frage, wohin man als nächstes hingehen muss, stellt sich schlichtweg gar nicht. Gleichwohl bieten cineastische Spiele wie Heavy Rain natürlich eine gänzlich andere Qualität: Der Spieler wird in eine Situation geworfen und muss diese durchleben. Auf dem Niveau eines Films und das nicht nur schön prime-time-gerecht während 1.5tunden, sondern deutlich länger. Auf dem Niveau eines echten Spiels eben.
Cineastische Spiele als „Nische“ oder „Noob-Spiele“ abzutun, wäre fahrlässig, bieten sie einem doch die Vorzüge eines Films und eines Videospiels zugleich und das auf in der Regel bemerkenswertem Nievau. Sie sind für die übervolle Welt der Videospiele eine echte Innovation und Bereicherung und haben sich aufgrund der seit über zehnjährigen Geschichte sicher längst eine Art Existenzrecht erworben.

Mehr über cineastische Spiele auf FreiesFeld:
– Review zu Beyond: Two Souls
– Porträt von David Cage, Kopf von Quantic Dream

Dieser Beitrag wurde von Yoshi geschrieben und am 26. Oktober 2016 um 20:27 veröffentlicht. Er ist unter Gedanken abgelegt und mit , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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