Von JÁNOS MOSER.
Mickey und Pluto. Tim und Struppi. Obelix und Idefix. Shadow und Interceptor. Der Mensch und sein treuster Begleiter bieten seit eh und je Stoff für zahlreiche Comics, Trickfilme, Bücher und Videospiele. Im Jahr 1998 betrat ein neues Gespann die Bühne, diesmal für die Playstation 1: der Junge Andy und sein treuer Hund Whiskey. Heart of Darkness hiess das Spiel und war ein „cinematic platformer“, wie das Genre in fachlich mehr oder weniger potenten Kreisen genannt wird. Mit „cinematic“ im Hinterkopf und beim Anblick der ersten Screenshots kommen einem Spiele wie Out of this World (SNES) in den Sinn. Logisch – denn letzteres ist vom gleichen kreativen Kopf wie der Namensvetter von Conrads Novelle.
Kreativ
Eric Chahi heisst der und ist Designer, Programmierer und Illustrator in einem. Als einer der ersten hatte er die Idee, 2D-Polygone durch Vektorkoordinaten in Videospiele einzufügen, was ihm erlaubte, selbst mit geringem Speicher flüssige Animationen und Videosequenzen darzustellen (heute findet dieses Verfahren noch in Adobe Flash Verwendung). Chahis gilt als Mitbegründer moderner Action-Adventures wie Tomb Raider oder MDK. Technische Errungenschaft und Design gehen in der Videospielbranche häufig Hand in Hand, und so ist es nicht verwunderlich, dass auch Heart of Darkness deutlich seinen Stempel trägt – sowohl, was das Gameplay angeht als auch die Grafik mit ihren opulenten Zwischensequenzen. Nicht zuletzt fragt man sich, ob „cinematic platformer“ nicht eine eher unbeholfene Genrebezeichnung ist für etwas, was eine Person mit mehr oder weniger zwei Spielen geschaffen hat. Doch über Kleinigkeiten soll nicht gestritten werden. Worum geht es in Heart of Darkness? Das fünfminütige Introvideo erzählt die Vorgeschichte: Junge Andy und sein Hund tollen auf einer Wiese herum, als Schattenwesen vom Himmel hinabsteigen und das arme Tier entführen. Das kann der Junge nicht auf sich sitzen lassen und er steigt mit einer selbstgebauten Flugmaschine aus seinem Baumhaus in die Lüfte. Bald findet er sich im Schattenreich wieder, einer feindselige Gegend, in der es vor Monstern nur so wimmelt. Zum Glück hat Andy eine Strahlenkanone dabei – fragt sich nur, für wie lange. Prompt wird sie von einem Jabba-ähnlichen Viech gefressen … aber das gehört ja schon zum Gameplay. Dieses ist, passend zum „Genre“, auch typisch „cinematisch“ aufgebaut. Kaum springt Andy nach einem Absturz aus dem Cockpit der Flugmaschine, explodiert sie auch schon, während einer Kletterpartie zoomt die Kamera stylisch an das Geschehen heran oder plötzlich zuschnappende Knochenkiefer werden mit Streichern untermalt. Ein Heads Up-Display oder Ähnliches fehlt, nach einem Treffer ist Schluss und man kann auf tausend Arten sterben. In Zeiten von Resident Evil 6 (das in Gottes Namen leider grottenschlecht geworden ist) lockt das niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, und schon gar nicht, wenn das Spiel in 2D gehalten ist – oder?
Kino
Ja, nicht noch ein halbgares Kinoerlebnis, schreien Tetris-Anhänger oder Rollenspielfans. Aber schaut man genau hin, ist Heart of Darkness diesbezüglich mit dem Spieler mehr als gnädig: Es gibt kaum Wege, die keine sind, Zwischensequenzen gibt es auch nicht zu viele und mehrheitlich wird dem Spieler das Spielen überlassen und nicht den Entwicklern. Der recht geradlinige Weg ist nicht repetitiv und es macht einfach Spass, die Schattenwesen zu brutzeln oder (nach dem Verlust der Waffe) vor ihnen zu flüchten. Von Uncharted und co. ist Heart of Darkness noch erfrischend weit entfernt. Dafür sorgt das Try & Error-Prinzip. Knifflige Sprungpassagen probiert man so lange, bis sie geschafft sind, und nicht bis im Menü der Schwierigkeitsgrad „leicht“ anwählbar wird. Oldschool heisst eben noch Frust statt Füttern. Frust? Oh Gott! Doch die Ungeduldigen seien beruhigt: Der hält nie besonders lange an. Im Gegenteil, mit der Zeit beginnt man den Protagonisten zu mögen. Andy ist einfach nur ein Junge, der seinen Hund retten will, und kein Militarist, mit dem man sich nicht identifizieren kann. So waren wir alle mal – hatten Schiss davor, wenn der Lehrer uns in den dunklen Schrank sperren wollte, träumten uns Strahlenkanonen herbei und glaubten fliegen zu können. Überhaupt haben die Schatten und die Dunkelheit eine grosse Rolle im Spiel (als lebendig gewordene Hindernisse u.ä.) und bilden eine thematisch abgerundete Fantasterei. Beim Genuss von Heart of Darkness glaubt man sich in die Zeit zurückversetzt, als man noch fragte, ob da kein Monster unter dem Bett versteckt sei. Grossartig.
Alter
So erfrischend eine Retrospektive angesichts der heutigen Videospielwelt sein kann, das Alter von Heart of Darkness ist trotz allem nicht zu verhehlen. Die Steuerung bockt in ungünstigen Momenten, und ist „2D“ in anderen Fällen ein Pluspunkt, wagt man hier so manche Zweifel auszustreuen. Schon zur damaligen Zeit gab es Beispiele für gut gemachte 3D-Games, die audiovisuell mehr boten, und durch die Perspektive gibt es unfaire Stellen, wenn z.B. ein Gegner am Rand eines Bildschirms steht und man ihn nicht richtig sieht. Die Spielzeit ist auch recht kurz. Wäre da bei sechs Jahren Entwicklungszeit nicht mehr drin gewesen? Und ist Heart of Darkness im Grunde genommen nicht einfach ein aufgepepptes Out of this World? Und nochmals: sechs Jahre für ein Spiel? Sind das nicht ausser Rand und Band geratene Indie-Allüren? Na gut, belassen wir es dabei. Jetzt ab auf den Flohmarkt!
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