Von JÁNOS MOSER.
Mudokons haben´s schwer. Nachdem das sympathische Naturvolk in der RuptureFarms-Fabrik zu Fleischbällchen verarbeitet werden sollte, nehmen die Glukkons die Burschen erneut in die Mangel: diesmal als Minenarbeiter in düsteren Bergwerken. Umso schlimmer, was sie dort – nichtsahnend, da blind – zutage fördern, nämlich die Knochen ihrer eigenen Ahnen. Diese dienen als Zutat für Soulstorm Brew, ein süchtigmachendes und giftiges Getränk. Abe, der bekannte und beliebte Held aus dem ersten Teil (Abe´s Oddyssee, 1997), fällt mal wieder auf den Kopf, als ihn Visionen heimsuchen. Drei zerschundene Mudokon-Ahnengeister berichten ihm von der verzweifelten Lage. Grund genug für Abe, sich ein paar Kumpels zu schnappen und auf den Weg zu den Necrum Mines zu begeben.
Minen
Wer den Vorgänger gespielt hat, findet hier schnell vertrautes Feld. Die Welt von Abe´s Exoddus ist zweidimensional und in statische Bildschirme eingeteilt. Das Abenteuer wird von Bildschirm zu Bildschirm bestritten. Man weicht herabstürzenden Felsbrocken aus, springt über Abgründe, stellt Fallen, zieht Hebel, rennt davon (denn Abe besitzt keine Waffen), „chantet“ und befreit Mudokonsklaven von ihrem erdrückenden Schicksal. „Chanten“ ist in etwa ein Synonym für „Beten“, die wichtigste Fähigkeit des Helden. Damit lassen sich, wie im echten Leben, die Vogelportale öffnen, wodurch die Sklaven in die Freiheit entschwinden, oder Besitz von Gegnern ergreifen. Neben den alten Bekannten wie schiesswütigen Sligs (eine Mischung aus Cuthulhu und Cyborg), Slogs (RE-Hunde im Miniformat), Scrabs (Krebse mit Riesenschnabel), Paramites (Eine neue Form von Parmesan – oder doch eher ledrige Spinnenviecher) oder Glukkons (Industrieboss-Aliens) sind auch ein paar neue hinzugekommen: Fleeches (grüne Riesenwürmer) und Slurps (Minischnecken zum Zertrampeln). Ausser den Fleeches, Slogs und Slurps kann man nun auch von allen Widersachern Besitz ergreifen und sie so buchstäblich eigenhändig aus dem Weg räumen. Oder viel interessanter – man benutzt GameSpeak, um sie untereinander kommunizieren zu lassen. Wie im Vorgänger besitzt natürlich auch Abe diese Fähigkeit. Als Auslöser dienen Tastenkombinationen des Controllers oder die Zifferntasten auf der PC-Tastatur. Das Repertoire an Befehlen, z.B. „Folge mir“, „Warte“ usw. ist ebenfalls erweitert worden. Die neuen Befehle sind auch bitter nötig, denn neuerdings haben die Mudokonsklaven verschiedene Seelenzustände wie Ärger, Trauer und Übermut, und werden diese im richtigen Moment nicht durch „Aufhören!“ oder tröstende Gesten beseitigt, kann dies im Kugelhagel eines Sligs enden. Am interessantesten wird GameSpeak zweifellos bei der Inbesitznahme eines Glukkon-Firmenbosses. Dieser ist nicht nur in der Lage Sligs zu befehligen, sondern ist auch explizit auf deren Hilfe angewiesen, da er auf den Händen läuft und keine mehr für das Betätigen von Hebeln freihat. Wie für Entwickler Oddworld Inhabitants üblich, auch hier eine satirische Spitze gegen den Kapitalismus – die zum Herrschen geborene Klasse kann gar nichts anderes, als Befehle zu erteilen.
Atmosphäre
Was die Präsentation angeht, ist alles beim Alten geblieben. CGI-Filme, flüssige Animationen vor Pseudo-3D-Hintergründen, interessante Farbenspiele und atmosphärisch passende Umgebungen. Einziges persönlich empfundenes Manko ist das etwas „tristere“ Setting. Die Gebiete, die Abe durchstreift, sind zwar ähnlich wie im ersten Teil (manche würden sagen: zu ähnlich), doch RuptureFarms gab dem Ganzen einen überzeugenderen Kick. Man denke nur an die schaurig-wunderschöne Szenerie vor der Fabrik mit ihren Maschinen im Hintergrund, die aus Krieg der Welten zu stammen schienen, und den nächtlich grün schimmernden Himmel. Das alles verbunden mit diesem nervös zitternden, herzklopfenverursachenden Gefühl des Ausbruchs aus der Industriewelt. So etwas findet man bei Exoddus nicht mehr. Auch Elum, das Reittier von Abe, ist im neuen Teil verschwunden. Schade. Wenn auch nachvollziehbar: Das Gameplay wäre sonst unnötig verkompliziert worden. Was den Sound angeht, ist dafür alles im Lot. Die Musik ist dezent trommelnd wie eh und je, und auch die deutschen Synchronsprecher sind endlich erträglich geworden (nie werde ich den Schrecken vergessen, als ich nach der englischen Version von Oddyssee die deutsche einlegte). Alles in Allem hohe Kost.
Das Spiel für Denker
Manche bezeichnen Exoddus als ein Spiel für Denker. Und sie haben Recht damit. Die Hauptaufgabe, das Überleben der Fallen usw., fällt zwar zumeist unter Geschicklichkeit. Aber wenn man nebenbei noch alle 300 (!) Mudokonsklaven befreien will, die zudem oft in geheimen Bildschirmen versteckt sind, ist Köpfchen von Nöten. Exoddus erscheint sogar noch schwerer als Oddyssee. Wer jetzt reissaus nehmen will, sei beruhigt: Endlich wurde die im ersten Teil so vermisste Quicksave-Funktion integriert. Man kann also überall und zu jeder Zeit speichern. Und das Beste: Die Option „Pfad wieder anfangen“ ermöglicht ein praktisches Rücksetzen an den letzten vernünftigen Punkt. Die Gefahr, sich in eine unentrinnbare Sackgasse gespeichert zu haben, entfällt also. Was nicht heisst, dass nie Frust entsteht – manche Stellen des Spiels probiert man bis zu dreissig Mal oder mehr. Nur gut, bleibt das Spiel immer fair und trotz aller Schwierigkeiten unterhaltsam. Wieder mit dabei sind das gute und das schlechte Ende. Das schlechte tut auf eine gruselige Art richtig weh, wie in Kafkas „Verwandlung“.
Einzigartig
Ist Exoddus ein würdiger Nachfolger des Originals? Der Überraschungseffekt, den das hervorragende Design des ersten Teils hervorrief, wird bei einem Kenner zum grössten Teil verflogen sein. Neueinsteigern in die Reihe sei trotz allem Exoddus empfohlen, weil dank der Quicksave-Funktion weniger Frust aufkommt und insgesamt mehr Inhalt geboten wird. Und ja, ein 2D-Spiel lohnt sich in diesem Fall wirklich – die späteren 3D-Teile konnten nie ganz an die Genialität dieses Klassikers anknüpfen.
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