Von JÁNOS MOSER.
Zu den unendlich vielen Subkulturen, die Videospiele hervorgebracht haben, gehört die sogenannte Speedrun-Szene wohl zu den bemerkenswertesten. Nicht verwunderlich ist daher die grosse Resonanz in Form von Artikeln auf Gamewebseiten oder Interviews. Auf Speeddemosarchive.com oder YouTube finden sich haufenweise selbsterklärende Videos: Ziel eines Speedruns ist es, ein Spiel unter selbstauferlegten Bedingungen (mit oder ohne Tools, 100% oder nicht, Ausnützung von Glitches u.ä.) in der schnellstmöglichen Zeit durchzuspielen. Spielspass, Entdeckerfreude, Schwelgen in Grafikpracht: All das wird hinter das Erreichen der Bestzeit gestellt. Eines der frühen Opfer solcher Ambitionen war Doom 1994, aber auch Jump’n’Runs wie Super Mario Bros. – hier soll es nicht um die Details gehen. Um die grösseren Zusammenhänge umso mehr: Wohin zielt das Konzept des Speedruns ausser auf die Zeit?
Schneller als der Schall
Auf den ersten Blick befolgen Speedruns nichts weiter als die Prämisse eines jeden Spiels so effektiv wie möglich: „Erreiche das Ende“. Wir schauen Mario zu, wie er über Koopas und Blöcke hüpft, kaum je den Boden berührt und jede Gelegenheit wahrnimmt, in eine Warpzone zu gelangen. Das alles in atemberaubender Geschwindigkeit, die schon fast übermenschliche Reaktionszeit erfordert. Sinnvoll oder einfach nur wahnsinnig? Speedrunner wie Andrew Gardikis (siehe Video) wissen wohl, warum sie tun, was sie tun. Darüber soll auch gar nicht gestritten werden. Fakt ist: Der radikale Weg, auf dem die Prämisse des Spiels erreicht wird, bietet Stoff für tiefergreifende Überlegungen. Zunächst einmal die Frage: Warum scheint es so, als ob das, wofür das Spiel geschaffen wurde, durch die so hartnäckige Verfolgung des Ziels ad absurdum geführt wird? Und wofür wurde das Spiel eigentlich geschaffen? Zeigen uns die Speedruns nicht, dass hinter der Prämisse „Erreiche das Ende“ mehr steckt?
Nehmen wir ein beliebiges Spielemagazin zur Hand. Reviews bieten neben Informationen zu den Spielmechaniken usw. meist eine Wertung in Form von Punkten oder Prozent. Ausschlaggebend für die erreichte Punktzahl sind z.B. Umfang des Spiels, Grafik, Sound oder Abwechslung. Ergo: Der Weg ist das Ziel. Was Spass macht, ist gut. Anders verhält es sich bei Speedruns. Hier ist das Ziel das Ziel. Klingt einfach, ist es aber nicht. Was uns auf den ersten Blick wie die strikte Befolgung der Spielprämisse erschienen ist, ist in Tat und Wahrheit ihre Kritik. Kann „Erreiche das Ende“ überhaupt noch Spielziel sein, wenn der Weg dahin im Grund nichts Weiteres als die Beanspruchung von Reaktionszeit ist? „Erreiche das Ende“ ist im Speedrun sinn- und zwecklos geworden. Aber eben nur „Erreiche das Ende“. Denn gerade hier kommt der ganze Rest ins Spiel: „Habe Spass“, „Erkunde“, „Entdecke“, all das kann und muss zum Spiel dazugehören. Warum? Weil es dafür geschaffen wurde. Speedrunner konzentrieren sich also, wenn man so will, auf einen winzig kleinen Teil des Gesamten – den führen sie dafür in grösster Perfektion aus.
Krasse Zeit
Nach 4:58 Minuten ist Mario am Ende seiner Reise angelangt. Bowser ist besiegt, die Prinzessin gerettet, die Finger schmerzen und das Hirn dreht Kreise. So sieht die drogenfreie Rauscherfahrung aus. Und die Welt wird durch das Internet Zeuge – der Ruhm ist in Greifnähe. Von solchen realen Folgen der Anstrengung abgesehen, ist und bleibt die Aufgabe des Speedrunners ein Kuriosum, das wir hoffentlich ein bisschen besser verstehen gelernt haben. Es zeigt uns, dass Spielziel nicht gleich Spielziel ist, dass das Schnelle noch schneller zur Erkenntnis führt. Wer braucht da noch „Die Entdeckung der Langsamkeit“?
Du hast in dem Fall FF9 auch nie in unter 12 Stunden durchgespielt um die stärkste Waffe des Spiels zu holen?
Verständlich 🙂