Freies Feld

Lost in Random

Von JÁNOS MOSER.

Bestürzung beim Aufstarten von Lost in Random (2021), einem Indie-Titel des schwedischen Entwicklerstudios Zoink. «EA Originals», steht da gleich zu Beginn. EA? Die derzeit wohl unbeliebteste Spielefirma der Welt, berüchtigt für ihre Mikrotransaktionen und andere schmierige Geschäftspraktiken? Was haben die hier verloren? – Wie sich herausstellt, finanziert die Firma mit einer Art Mentoringprogramm Spiele von kleineren Entwicklern und verhilft ihnen zu mehr Bekanntheit, fungiert ergo in diesem Fall nur als Publisher. Trotzdem kann ich meine Vorbehalte nicht ganz abschütteln und erwarte um jede Ecke einen dreckigen Bezahlservice. Meine Furcht wird abgeschwächt, als ich im Hauptmenü lediglich die drei Optionen «Start Game», «Options» und «Credits» vorfinde. Vielleicht kann man sich das PS4- (PS5, Switch, Xbox, PC-)Spiel ja trotzdem geben. Oder?

Ein Spiel des Zufalls

Aber genug von EA. Lost in Random erzählt, wie der Titel schon sagt, eine Geschichte des Zufalls: Zwei Geschwister, Even und Odd, werden im Alter von zwölf Jahren voneinander getrennt, als ein Würfelwurf ihr Schicksal entscheidet: Denn jedes Kind bekommt in diesem Alter Besuch von der dunklen Königin des Märchenreiches Random, deren schwarzer Würfel durch – genau – Zufall entscheiden soll, wer sein Leben fortan in welchem Teilgebiet des Reiches verbringt. Während die «Einser», wozu auch Even, die Hauptfigur, gehört, in slumartigen Verhältnissen leben und Müll transportieren müssen, leben die verwöhnten «Sechser», zu denen es Odd verschlägt, im Palast der Königin und lassen es sich gut gehen. Doch als Even ein geheimnisvolles Lumpengespenst erscheint, macht sie sich auf die Reise, um ihre Schwester zu finden. Dabei durchquert sie sämtliche Teilgebiete des Märchenreiches, die jeweils ihre eigenen Eigenheiten und Gesetze haben. So leben etwa in «Zweistadt» allesamt mit multiplen Persönlichkeiten, während sich in «Dreiheit» drei Thronerb:innen bekämpfen. Die seltsame Welt voller skurriler Gestalten erinnert sofort an Lewis Carrolls Alice im Wunderland, aber auch an die Welten von Tim Burton und davon inspirierte Games wie MediEvil. Was mich besonders nostalgisch stimmte, war der Soundtrack, der deutlich an die Musik von Sir Daniel Fortesques Abenteuer erinnert.

Umständliches Kampfsystem

Doch was hat Randoms düstere Märchenwelt mehr zu bieten als den Artstyle? Das Spiel ist ein klassisches 3D-Action-Adventure, das heisst, man verbringt seine Zeit nicht nur damit, die Welt zu bewundern, sondern auch mit Kämpfen. Diese gestalten sich nun als der Knackpunkt des Spiels. Auf den ersten Blick erscheinen sie nämlich innovativ und einfallsreich: Even bekommt einen lebendigen Würfel namens «Dicey» zur Seite gestellt, der sie nach einem Wurf mit einer bestimmten Anzahl Karten aus einem Kartendeck beliefert. Welche der Karten man ausspielen kann, hängt dabei von der gewürfelten Augenzahl und der Zusammenstellung des Decks ab. Eine der billigsten Karten beschwört ein Schwert, mit dem man eine Zeit lang auf die Gegner einprügeln kann. Andere Karten sorgen für stärkere Waffen, Bomben oder Schutzschilder. Das Problem dabei ist, dass man Dicey nur würfeln kann, wenn er genügend Würfelenergie aufgesammelt hat; diese muss man immer wieder aufladen, denn ohne sie ist man wehrlos. Für manche taktische Kombinationen (bei Bosskämpfen) mag dieses Prinzip ganz reizvoll sein, aber auf die Dauer werden so die Kämpfe unnötig in die Länge gezogen und man wünscht sich ein simpleres und nicht so zufälliges Prinzip herbei. Da hilft es nicht, dass die Gegnertypen relativ einfallslos bleiben und man meist nur gegen Roboter kämpft. Ausserhalb des Kampfes stellt sich Lost in Random als ein sehr lineares Spiel heraus. Zwar kann man die kleinen Gebiete mehr oder weniger frei erkunden und auch Nebenquests annehmen, doch diese sind schnell abgehakt und keine Herausforderung. Der Geschmack der «Freiheit» verflüchtigt sich auch schnell, wenn man feststellt, dass gefühlt die Hälfte der Welt lediglich aus engen Gassen besteht, an deren Rändern die NPCs Spalier stehen, um zu quatschen. Zuletzt bieten die Dialoge zwar gewisse Auswahlmöglichkeiten, haben auf den Spielverlauf aber wenig bis gar keinen Einfluss. Klar ist Lost in Random kein RPG, aber beim Spielen überkommt einen dennoch früher oder später das Gefühl, durch einen zwar angenehmen, aber statischen Gruselpark zu laufen. Man kann mit der Welt kaum interagieren, obwohl einen die vielen verwinkelten Ecken vom Gegenteil überzeugen wollen. Das ist schade, weil ich mir in dieser Welt definitiv mehr gewünscht hätte, als stumpf NPC nach NPC, Kampf um Kampf abzuklappern.

Seltene Wörter und Reim-Kämpfe

Trotz allem macht es durchaus Spass, die Gespräche in den Cutscenes bzw. die Story des Spiels mitzuverfolgen. Grund dafür ist die Erzählerfigur, die sich immer mal wieder einmischt und ihren Sarkasmus zum Besten gibt. Sofern man sich darauf einlässt, hat man auch ein paar witzige Wortspiele oder Fantastereien zu erwarten, wie etwa eine alte Dame, die mit «seltenen Wörtern» handelt, oder einen Bürgermeister, der einen zum Reim-Kampf herausfordert. Auch in sprachlicher Hinsicht eifert Lost in Random Lewis Carroll nach, und wenngleich nicht jeder Satz trifft, bekommt man eine ordentliche Portion britische «Tea Time» serviert. Das kann man mögen oder nicht; in einer Zeit, in der die meisten Game-Dialoge nach wie vor zu neunundneunzig Prozent aus Fluchwörtern bestehen, verbuche ich das jedenfalls als Pluspunkt. Zum Schluss sei noch etwas zur Technik gesagt: Mich wunderten die etwas klobige Steuerung und die leichten Grafikbugs beim Speichern und Laden des Spiels ein wenig, aber da war sonst nichts, was das Spielerlebnis massgeblich beeinträchtigte. Wie ich übrigens gehört habe, soll ein neuer Teil von American McGee’s Alice in der Mache sein. Lost in Random ist für Fans der Alice-Spiele allemal ein guter Zeitvertrieb, bis Alice: Asylum erscheint. Und nein, EA hat diesmal trotz viel «randomness» keine Echtgeld-Lootboxen eingebaut.

Dieser Beitrag wurde von Yoshi geschrieben und am 25. Januar 2022 um 02:22 veröffentlicht. Er ist unter Reviews abgelegt und mit , , , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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