Freies Feld

Schach vom Mars

Von JÁNOS MOSER.

2012 scheiterte John Carter grandios an den Kinokassen. Schade für die seit kurzem hundert Jahre alt gewordene Vorlage A Princess of Mars (1912), die zunächst seriell im Pulpheft The All Story Magazine veröffentlicht und 1917 in Buchform gebracht wurde. So richtig will man sich nicht mehr erwärmen für einen halbnackten Südstaatler, der auf dem Mars gegen weisse Affen und grüne Marsmenschen kämpft, vielleicht zu Recht. Nach unzähligen fehlgeschlagenen Verfilmungsversuchen musste ja so ein Murks herauskommen. Dabei hat die mehrbändige Mars-Serie von Tarzan-Schöpfer Edgar Rice Burroughs eigentlich mehr verdient. Von Avatar über Flash Gordon bis Star Wars haben sich tausende Filme und Comics Burroughs Ideen bedient und selten je ein Dankeswort verlauten lassen. Nun, A Princess of Mars ist auch eigentlich Schund. Pathetische Dialoge, unlogische Handlung, flache Figuren, vorhersehbare Wendungen. Aber eben nur eigentlich: Im Kern der Geschichte verbirgt sich diese gigantische, unverbrüchliche und rettende Epiphanie, wie unverschämt schlecht Literatur sein darf und kann – vielleicht muss –, ohne aufzuhören, Literatur zu sein. A Princess of Mars ist das Extrem, die absolute Gegenthese zu Lem, zu Thomas Mann, zu Kafka, und zeigt, dass es auch anders geht. Burroughs schafft es, der Ich-Perspektive eine selten je erreichte Distanz abzugewinnen; das, das da geschieht, ist nicht mehr Betroffenheit, ist keine Identifikation – im Gegenteil. Es ist das ferne, unterhaltsame Flimmern eines undeutlichen Mars-Spektakels, das ohne Fernrohr von einer Wohnzimmercouch aus beobachtet wird. Von zufriedenem Gelächter geschüttelt, sinkt man tiefer in die Kissen und möchte Burroughs ein Bier spendieren. Und man fragt sich vielleicht, warum man all die Jahre versucht hat, Antworten in Büchern zu finden. Warum man eigentlich Geschichten nie als das gesehen hat, was sie sind, und immer die schwierigsten statt die einfachsten Sätze mehrmals gelesen hat.
Besonders interessant: Burroughs war wie H. G. Wells nicht nur Autor, sondern auch Spieleentwickler. Im fünften Band der Mars-Bücher, The Chessmen of Mars (1922) erfindet er eine Schachvariante namens „Jetan“, die auf dem Mars gespielt wird. Statt Bauern führt man Krieger, Thoats, Panthans, Padwars, Dwars, Odwars, eine Prinzessin und einen Anführer in die Schlacht. Obwohl manche Spielregeln im Buch mehrdeutig oder gar nicht beschrieben sind, haben Tüftler den Dreh rausgefunden und ein brauchbares Regelwerk auf die Beine gestellt.

Dieser Beitrag wurde von Yoshi geschrieben und am 10. März 2014 um 19:50 veröffentlicht. Er ist unter Links und Tipps abgelegt und mit , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

2 Gedanken zu „Schach vom Mars

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