Freies Feld

Dishonored

Von JÁNOS MOSER.

Kein neuer Aufguss einer alten Gamereihe: Dishonored (PS3, 2012) galt im Vorfeld als die grosse Spielehoffnung. Nachdem die Spieler in den letzten paar Actionkrachern schamlos bevormundet wurde, sollte die Mischung aus Schleichspiel, Ego-Shooter, Sandbox und Action-Adventure das zurückbringen, wonach sich jeder Gamer insgeheim gesehnt hat: Entscheidungsfreiheit. Die Eindrücke, die einem die Entwickler vom Spiel an den grossen Events (E3) gaben, stimmten einen in dieser Hinsicht auch recht hoffnungsvoll. Mit einer Vielzahl an Fähigkeiten sollte es möglich sein, jede Mission auf tausend verschiedene Arten zu lösen. Das fühlte sich fast schon zu gut an, um wahr zu sein. Seit kurzem liegt nun Dishonored auf dem Stapel der durchgespielten Games. War alles nur Schwank und Schwindel? Oder ist an den Versprechen etwas Wahres dran? Ein Review wird es zeigen.

Entehrt

Die Story von Dishonored beginnt so, wie es der Titel verspricht. Corvo, der kaiserliche Leibwächter, kehrt nach einer langen Reise nach Dunwall zurück, als er unfreiwillig Zeuge der Ermordung der Kaiserin und der Entführung der Thronerbin wird. Prompt verdächtigen ihn der Lordregent und seine Leute des Hochverrats und er landet im Gefängnis. Nach einer spektakulären Flucht gelingt es ihm, Kontakt zu einer Gruppe von Kaisertreuen aufzunehmen, die den Sturz des tyrannischen Lordregenten und die Befreiung der Thronerbin planen. Zufällig können sie die Hilfe eines mit Superkräften begabten Typs wie Corvo gut brauchen. Superkräfte? Richtig: Neben den Standardwaffen eines Asassinen wie der Armbrust, der Pistole, der Mine oder der Klinge verfügt Corvo auch über eine Reihe von magischen Fertigkeiten, die das Spiel massgeblich beeinflussen. Nachtsicht macht nahe Schätze, Gegner und Geheimnisse im Dunkeln besser sichtbar, mit Teleport lassen sich entfernte oder hoch gelegene Orte wie Dächer problemlos erreichen, ein Windstoss befördert Gegner durch die Luft oder öffnet Holztüren, Beherrschung dient der kurzzeitigen Übernahme eines Tieres oder eines Menschen, man kann einen Rattenschwarm beschwören, und mit Zeitstopp vermag man sogar eine ganze Brigade ungesehen zu passieren. Hinzu kommen passive Fähigkeiten wie mehr Vitalität, eine höhere Sprungkraft und Geschwindigkeit oder „Blutdurst“ für besonders effektive Nahkampfschläge. Dishonored ist jedoch kein kein RPG, soll heissen, diese Fähigkeiten erwirbt man nicht durch Levelanstieg, sondern, indem man die überall in Dunwall versteckten Runen findet. Von denen sind gerade so viel verteilt, dass man zwar gegen Ende alle Fähigkeiten freischaltet, will man jedoch die eine oder andere auf die zweite, stärkere Stufe bringen, muss man Prioritäten setzen. Nebst Runen findet man sogenannte Knochenartefakte, die einem weitere passive Fähigkeiten verleihen wie eine erweiterte Manaleiste. Zu guter Letzt ist es möglich, die Pistole, die Armbrust oder eine beliebige andere Waffe zu verbessern (grösseres Magazin, kürzere Nachladezeiten usw.). Nicht schlecht. Und wofür braucht man das alles?

Schleichen oder zuschlagen

Das Spielprinzip von Dishonored ist einfach erklärt: Vom Hauptquartier der Kaisertreuen aus, wo man Gespräche führt oder seine Waffen verbessert, macht man sich auf, in verschiedenen Stadtteilen von Dunwall nacheinander wichtige Zielpersonen auszuschalten. Diese stehen alle auf die eine oder andere Weise mit dem Lordregenten in Verbindung und unterstützen ihn mit Geld, einer Stimme oder anderen Zuwendungen. Es herrscht eine Mischung aus Freiheit und Linearität; die Reihenfolge, in denen man die Missionen absolviert, ist zwar vorbestimmt – ein Fischer fährt einen automatisch in die Stadtteile – aber vor Ort sind alle Möglichkeiten gegeben, die ein gutes Spiel ausmachen. Man sucht Artefakte oder Geld, erledigt Nebenaufgaben oder durchstreift verlassene Häuser. Bis man sich an die jeweiligen Hauptmissionen macht, können Stunden vergehen. Trotzdem bilden sie das so prägnante wie einfallsreiche Kernstück des Spiels, denn durch Corvos Fähigkeiten ergeben sich tausend ungeahnte Wege, die Zielpersonen zu meucheln. Die hocken in Bordells, Leuchttürmen oder Wachhäusern. Steige ich per Teleport durch das Fenster ein? Übernehme ich die Kontrolle über einen Fisch und schwimme durch das Abwasserrohr? Oder schiesse ich einfach alles nieder? Nehme ich diese oder jene Abzweigung? Selten wurde in einem Spiel mehr an die Experimentierlust des Spielers appelliert. Gerne lädt man einen Spielstand neu, um einmal die eher lautlose und ein andermal die brachiale Vorgehensweise zu wählen. Mit Ausnahme der Kaisertreuen darf man jede beliebige Person, sei es Wachmann oder Zivilist, niederstechen. Bei so viel Freiheit ist ein gewisser von den Entwicklern implementierter Moralismus voraussehbar. Je mehr Menschen das Zeitliche segnen, desto düsterer und unwegsamer werden in späteren Missionen die Strassen von Dunwall und desto unbefriedigender das Spielende. Deshalb lohnt es sich, nach Alternativen Ausschau zu halten: Jede Zielperson kann auch nicht-tödlich aus dem Weg geschafft werden, indem man sie zum Beispiel von einem liebeskranken Verehrer entführen lässt, Beweise sammelt, die ihren Ruf ruinieren, oder sie in ein Bergwerk zum Schuften schickt. Da man unter Anderem mehr Runen bekommt, wenn man den Schleichweg wählt, scheint es leider, als ob die Entwickler einem trotz aller Freiheiten eine bestimmte Art zu spielen ans Herz legen wollten. „Ans Herz legen“ ist nicht gleich „aufzwingen“, trotzdem wäre ein bisschen weniger Zeigefinger wünschenswert gewesen.Vielleicht haben die Entwickler aber auch einfach geahnt, dass Dishonered für Spieler mit Rambo-Attitüde zu einfach und schnell durchgespielt ist.

Die Stadt

Über die Vor- und Nachteile des Gameplays kann man streiten – nicht aber über den eigentlichen Aufhänger des Spiels, die Stadt Dunwall, mit all ihren Winkeln, Gässchen und Geheimnissen. Endlich mal ein Bethesda-Spiel, das nichts mit Drachen, Mittelalter oder Apokalypse zu tun hat. Das Design orientiert sich an (fast) neuen, frischen Ideen statt an Orks und Goblins und ist in jeder Hinsicht überragend. Die Welt von Dishonored ist die Vision eines fiktiven viktorianischen Englands, durchsetzt mit Science-Fiction-Elementen (Laser-Sperrwände u.ä.). Die dekadente Aristokratie Dunwalls vergnügt sich auf Maskenbällen, während in der Stadt eine von Ratten übertragene Seuche grassiert. Erinnerungen an Edgar Allan Poes „Maske des roten Todes“ werden ebenso wach wie solche an Wells „Krieg der Welten“, wenn die riesigen „Tallboys“ auf ihren metallenen Stelzen durch die Stadt patroullieren. Der wirtschaftliche Aufstieg des Örtchens – bedingt durch Walöl – ist nur noch eine blasse Erinnerung. Leichensäcke liegen in den verfallenen Gassen und hinter jeder Ecke könnte ein „Weiner“ lauern, ein von der Seuche befallener Zombie. Kein Ort, an dem man Ferien machen möchte. Als virtueller Zuschauer will man umso lieber dabeisein. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Um mehr über die Welt von Dishonored zu erfahren, reicht manchmal auch ein belauschtes Gespräch zwischen zwei Wachen oder das Lesen der überall zerstreuten Bücher. Schneller, als man es sich versieht, ist man so mittendrin in der Stadt und möchte am liebsten gar nicht mehr raus. Das Tüpfelchen auf dem i bilden die Figuren: So schnell wird man die Lumpengräfin oder Slackjaw nicht wieder vergessen, und das dank den Sprechern, die passable Arbeit geleistet haben. Die von Daniel Licht komponierte Hintergrundmusik ist dezent und passend.

Fazit

In Zeiten von immer mehr brachialer Action und immer weniger spielerischer Würze geht Dishonored andere Wege. Mag man das eine oder andere (v.a. Die Steuerung) aus einem früheren Bethesda-Spiel wiedererkennen, in dieser Zusammensetzung hat man all die vorkommenden Spielelemente nicht oft gesehen. Es macht einfach Spass, immer wieder neue Möglichkeiten auszuprobieren und die Kräfte auf verschiedene Weisen einzusetzen. In seiner Ambition, dem Spieler eine tiefe, fremdartige und zugleich vertraute Welt zu bieten, steht Dishonored in der Tradition von Bioshock oder Half-Life 2. Jemand, der mit Skyrim und Oblivion wenig anfangen konnte, sollte deshalb den Namen des Entwicklerstudios nicht abschrecken. Diesmal haben sie’s wirklich gebracht.

Dieser Beitrag wurde von Yoshi geschrieben und am 2. Januar 2013 um 16:52 veröffentlicht. Er ist unter Reviews abgelegt und mit , , , , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

3 Gedanken zu „Dishonored

  1. Lord_Grizzly sagte am :

    Hallo, jetzt will ich doch auch mal wieder was schreiben, nicht zuletzt da ich Dishonored auch durchgezockt, wenn nicht sogar verschlungen habe.
    Also zuerst muss ich sagen, dass ich deine Meinung grössten teils teile, Gutes Spiel, angenehme Musik, Nette Grafik, tolle Möglichkeiten. Bei 2 Dingen kann ich allerdings nicht ganz zustimmen: zum ersten wäre da die Behauptung, das Speilende wäre unbefriedigend wenn man alles tötet. Das finde ich eigentlich nicht. Es ist düsterer klar und naja es gibt viele Opfer, aber das hat mich eigentlich nicht gestört. Hier kommt es wohl stark darauf an wie der Spieler gestrickt ist. Ich freue mich auf eie Diskussion mit dir :).
    Die zweite Sache die ich an deinem Artikel bemängle ist nur eine Kleinigkeit und zwar dieser Satz :“das nichts mit Drachen, Mittelalter oder Apokalypse zu tun hat“. Naja eher Satzfragment aber egal. Ich finde die Stadt Dunwall ist ziemlich Apokalyptisch, nun ja, es kein Post-Apokalyptisches Szenario à la Fallout 3 aber die Stadt ist doch mitten drin, überall Leichen, die Seuche grassiert und Rattenschwärme die durch die dunklen Winkel der Stadt trippeln.
    Tja, soviel zu meiner Meinung

    Peace

  2. Pingback: Thief | Freies Feld

  3. Pingback: Dishonored 2 | Freies Feld

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