Von JOHANNES MARKS.
Warum uns der Tod im Videospiel so oft ereilt und warum wir das -noch- nicht ändern können
In „Der Tod im Videospiel“ geht es Cédric um das bessere Verständnis einer Videospiel-Erfahrung, die oft wesentliche Teile eines Spiels ausmacht, aber der häufig jeder reale Bezugspunkt fehlt.
Wie ist der Tod des Charakters, des Spieler-Avatars im Spiel dargestellt? Welche Auswirkungen hat er auf das weitere Spielgeschehen? Welche auf meine Motivation?
Mit Grauen erinnere ich mich an das Sterben in Mass-Effect 1, in welchem die Kamera mit finsterem „DUM-DUM-DUMDUM“-Sound um den leblosen Heldenkörper für geschätzte 10 Minuten herumfährt, bevor ich endlich weiterspielen darf. Can’t finish the level? Try dying.
Der Ausdruck „GOTTVERFICKTE HURENSCHEIßE“ (können wir sowas hier schreiben? Ich glaube schon.) den mein Bruder ausschließlich in der sehr kurzen Zeit benutzte, als er sich an den ersten Stunden von „Dark Souls“ versuchte, illustriert ein offenbar frustrierendes Spieleerlebnis.
In „Dark Souls“, einem 2011 für PS3 und XBOX360 erschienenen Rollenspiel/3rd-Person Slayer hat der Tod eine für heutige Spiele tiefgreifende Wirkung.Ähnlich des zweiten Diablo-Teils gibt es nur noch eine Chance, die hart erarbeiteten Seelen (Universalwährung in Dark Souls) wieder einzusammeln, dann heißt´s: Pech gehabt.
Im Fall von Dark Souls bedingt diese Spielerfahrung eine extrem vorsichtige Vorgehensweise, die das Spiel, wie auch bereits seinen Vorgänger, zu einer Messlatte für Können am Gamepad, aber auch Frustrationstoleranz gemacht hat.
Die sprachlichen Bewältigungsversuche meiner näheren Verwandschaft zeigen, dass diese Münze zwei Seiten hat.
In diesem Artikel möchte ich mich also nicht damit beschäftigen, wie der Tod bisher im Videospiel verarbeitet und wahrgenommen worden ist. Zunächst stellt sich die Frage: Warum werden wir in Videospielen mit einer solchen Todes-Inflation konfrontiert?
„Wenn die Normandie gesichert ist, gehts auf nach Berlin!“
Für den Griff zum Controller gibt es viele Gründe. Spiele wie „Super-Mario“ oder das absolut empfehlenswerte „Limbo“ für die PS3 fordern den Spieler hauptsächlich auf einer logisch-mechanischen Ebene. Drück im richtigen Moment den richtigen Knopf und du erreichst den nächsten Level. Die Motivation besteht hauptsächlich darin, den Entwicklern den Finger zu geben:
„WHAT UP BITCH I BEAT YOUR STUPID GAME NOW WHAT?“
Dann gibt es natürlich Spiele, die den Tod überhaupt nicht enthalten, weil schlicht kein Charakter vorhanden ist, mit dem der Spieler sich identifizieren kann und soll (beispielsweise die allseits beliebten „Bubble Shooter“ u.ä.). Diese illustrieren das oben genannte Prinzip noch besser.
Ein guter Teil der heute konsumierten Spiele lebt jedoch von der Empathie des Spielers. So gibt es zum Beispiel in fast jedem „Call of Duty“-Teil die Szene, in der einem das lange mitgereiste Captain-Price-Äquivalent mit einem „Was haben wir nicht schon alles durchgemacht!“ auf die Schulter klopft.
„Sicher habe ich viel durchgemacht!“ sollten wir antworten. „113 Bauchschüsse, 55 direkte Kopftreffer, 3mal ertrunken, 14 mal zu spät für den Timer der Atombombe gewesen, 6 mal dem Airforce-Bombardement nicht entkommen und 5 mal die Scheiß-Granate zu spät losgelassen.“
Warum also die Todesinflation?
Weil wir unsere Charaktere in diesen Spielen Gefahren aussetzen, die wir selbst niemals eingehen würden. Es sei denn, wir sind zufällig beim KSK, auch die spielen Playstation.
Der Reiz dieser Spiele liegt darin, Geschichten selbst zu erleben, in denen wir als Held ständig absolut unschaffbare Situationen meistern. Shooter wie „Call of Duty“ oder auch die „GTA“-Teile konfrontieren uns am laufenden Band mit im Spielekontext absolut unrealistischen Gegnermengen.
In einem „GTA“-Teil soll beispielsweise der Held einen Drogenkurier vom Flughafen abholen.
Natürlich taucht die DEA auf. Aber nicht etwa, wie in der Realität mit einem Einsatzleiter, ein paar Zivilen und zwei Streifenwagen, sondern mit Helikoptern und SWAT-Teams in War-on-terror-Stärke.
Sicher stirbt man da ein paar mal. Sicher schafft man es hinterher irgendwann, den Raketenwerfer im richtigen Moment zu benutzen und die zwei SWAT-Transporter mit einer Klappe zu schlagen.
In diesen Spielen rührt die Todes-Inflation von einer Hyperverstärkung unserer Unterhaltungserwartungen.
Was wäre es auch für ein „GTA“-Teil, in dem man nicht zum Spaß als Einmann-Armee Krieg gegen die (unerschöpflichen) Sicherheitskräfte einer gesamten Großstadt führen kann?
Der Tod in Form eines Ereignisses, das gut und gerne alle 15 Spielminuten eintreten darf, ist in diesen Spielen aus verschiedenen Gründen notwendig.
Im Gegensatz zu Filmen oder Serien ist die Inszenierung von Action-Szenen, wie zB. „GTA“ sie bietet, selten ohne den Tod des Spielers möglich. Er muss eben erst durch trial-and-error seine Position am Set herausfinden.
Auch die Call-of-Duty Teile legen einen starken Wert auf cineastische Inszenierung. Dies führt zum einen zu einer starken Marginalisierung der Spieler-Aktionen. Sein Eingreifen ist nur noch erforderlich um den nächsten Checkpoint, die nächste Script-Sequenz auszulösen.
Zum anderen muss er scheitern können und dürfen, und das häufig, immerhin muss er es praktisch im Alleingang mit 300 bewaffneten russischen Terroristen aufnehmen.
In Spielen, die solche überhöhten Szenarien präsentieren ist der Tod des Spielercharakters in seiner jetzigen Form nicht ersetzbar.
„Mario“, „Limbo“ oder „Iwannabetheguy“ enthalten den Tod nicht wirklich als Konzept, sondern nur als Erweiterung des Schwierigkeitsgrades. Während man in „Limbo“ nach jedem Ableben einige Meter vor der Todeszone wieder aufgestellt wird, bedeutet in „Iwannabetheguy“ jeder Ausstieg aus dem Diesseits einen Einstieg am Anfang des Spiels- ganz am Anfang.
Von Mechanismen wie Speicherpunkten, kurzen Jenseitsreisen oder auch dem „Zeit-zurückdrehen“ sollte man sich in diesem Zusammenhang nicht ins Bockshorn jagen lassen. Sie bedeuten faktisch, dass der Spielercharakter nicht sterben kann, auch wenn sein Tod kurz mal simuliert wird.
Es existiert in diesen Spielen keine Geschichte ohne den Spieler.
„Mr. McTavish, wir haben leider sehr hohe Cholesterinwerte bei ihnen festgestellt.“
Ist deshalb das ständige Sterben notwendig? Nein.
Als simples Gegenbeispiel seien die „Sims“ genannt.
Diese genialste Erfindung aller Zeiten -du kannst dein eigenes Leben, komplett mit Zähne-putzen und auf-die-Toilette-gehen nachspielen, ja wirklich! Und du kannst sogar die Zeit vorlaufen lassen, wenns langweilig wird- enthält den Tod nur relativ selten. Warum? „Die Sims“ bewegt sich inhaltlich sehr nahe an der Realität.
Jetzt muss man natürlich trotz aller Fazit-Nützlichkeit dem Spielprinzip gerecht werden. Natürlich kann man in „Die Sims“ beliebige Familien konstruieren, Wissenschaftler-Großeltern mit Olympioniken-Nachfahren, Bodybuilder mit künstlerisch begabtem Nachwuchs und in manchen Versionen sogar Hexenfamilien. Bleibt man allerdings bei der realistischen Version, geht der Charakter morgens zur Arbeit, sonst gibts nichts zu essen (obwohl der Kühlschrank meist trotzdem voll ist, solang man einen hat). Nach der Arbeit gehts auf die Couch oder zu Freunden, dann noch ein bisschen Sport oder Gitarre-spielen und jetzt- ab-ab ins Bettchen.
Klingt langweilig?
Dafür die Lebenspannen der Charaktere im Vergleich:
Call of Duty 4 (1. Durchgang) | Die Sims 3 |
ca. 15min max. | ca. 80 Jahre bei gesundem Lebenswandel |
Die Todesinflation beispielsweise in Shootern ist eine armselige Methode, den Spielinhalt irgendwie der Realität anzupassen- und der Betrug funktioniert.
Der Spieler möchte Hauptcharakter in einem Actionfilm sein, der Held in seinem eigenen Fantasyroman. Leider weiß er, im Gegensatz zum Schauspieler, nicht, wann sein Gegenüber zuschlagen oder zu welchem Zeitpunkt es die Kalaschnikow um die Ecke halten wird.
Verschiedene Genres, verschiedene Tode
Um nun Realität und Spielinhalt oder besser Realismus und Spieler-Erwartungen befriedigend einander anzunähern gibt es einige Möglichkeiten.
- Sie sind Seargeant John Black, halten sie die Achsenmächte auf!
In dieser Variante hat der Spielercharakter keinerlei persönlichen Hintergrund, noch spielt er für die eigentlich erzählte Geschichte selbst irgendeine Rolle. Er erschießt zwar die Bösen, das hätte genausogut aber auch sein Nebenmann tun können. Und wer weiß, vielleicht schlüpft man ja beim Respawn in dessen Rolle.
Diese Art des Sterbens und der Wiedergeburt ist wenig mehr als eine Übertragung des „Jump-and-run“-Todes auf Shooter. Außerdem lässt es sich auf andere Spielekonzepte, vor allem das Rollenspiel, nicht anwenden, weil der Spieler hier eine Identifikation mit dem Charakter zwingend braucht. Hier werden Erwartungen und Realismus einander angeglichen, indem der Spieler aus der Gleichung verschwindet, ohne es zu merken.
- Weniger „Jason Bourne“, mehr „Tatort“
Die erzählte Geschichte hat sich hier weit genug der Realität angenähert, als der Tod des Charakters auf Grund der nicht ständig bestehenden Gefahr für sein Leben nicht so häufig eintreten muss.
Actionsequenzen werden als Spannungsmomente genutzt und können durchaus stärkere Wirkung als bei ihrem inflationären Gebrauch entfalten. Größere Strecken des Spiels werden zB. durch Schleich-Einlagen, Socialising oder Beweissammlung bestritten (Deus Ex: Human Revolution). Auch hier muss aber ein mögliches Sterben des Spielers und anschließender Respawn immer noch zum Spielprinzip gehören.
- Das „Heavy Rain“-Prinzip
Hier werden vom Spieler mehrere Charaktere in verschiedenen, sich manchmal überkreuzenden Storylines gesteuert. Natürlich könnten die auch in einer Gruppe unterwegs sein, gemeint ist aber hier nicht die „Final-Fantasy“-Variante, in welcher der Tod von Charakteren teilweise sogar gewollt in Kauf genommen werden muss und diese nach dem Kampf einfach wieder aufstehen.
Vorteil dieser Möglichkeit ist sicher, dass die Story eine gute Weile lang auch mit toten Charakteren auskommt. Deren Ableben hat, gerade auch am Beispiel von „Heavy Rain“, natürlich auch entsprechende Auswirkungen auf den weiteren Fortlauf der Geschichte. Wenn alle das Zeitliche gesegnet haben, heißt es natürlich trotzdem: Quickload.
- Das World-of-Warcraft Prinzip
Der Spieler ist hier faktisch unsterblich. Sein Tod stellt eine vorübergehende Daseinsveränderung dar, die Schäden an Ausrüstung und gesammelter Erfahrung bedeutet, eigentlich aber nicht weiter tragisch ist. Das birgt natürlich die Konsequenz, dass diese Unsterblichkeit in der Spielwelt erst einmal erklärt werden muss.
Fazit
Cédric hat es schon gesagt: Der Tod als „Select- Element“ ist notwendig. In bestimmten Genres lässt sich auch seine Häufigkeit oder die Profundheit seiner Auswirkungen auf den Fortlauf der Handlung nicht verändern.
Wenn wir in Skyrim irgendwo auf einem Berggipfel von einem dieser geschuppten Flammenwerfer geröstet werden, stehen wir eben ein paar Sekunden später wieder auf und versuchens nochmal. Schließlich sind wir der einzige, der das Königreich retten kann.
Da liegt auch genau der Crux:
Der Tod im Videospiel wird inflationär und weitgehend auswirkungslos bleiben, solange das Spiel uns nur ein und dieselbe Handlung anbietet, immer wieder. Videospiele haben einen Helden und ohne den kann die Geschichte nicht erzählt werden.
„Heavy Rain“ hat derer vier, aber wenn alle tot sind, gehen die Lichter aus.
Entweder wir begnügen uns also mit einem Lindenstraße-RPG, in dem der Tod nur eintritt, wenn jemand vergifteten Kaffee trinkt oder von einem Auto angefahren wird.
Oder wir benötigen eine Handlung, die sich für jeden Helden unterschiedlich präsentiert, die nicht auf einen Auserwählten angewiesen ist. Dann benötigen wir eine Welt, die an die unterschiedlichsten Charaktere völlig unterschiedliche Anforderungen stellt.
Und wenn der vom Auto angefahren oder gefressen wird, ist seine Geschichte eben zu Ende.
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