Freies Feld

No Man’s Sky im Sinkflug

Gastbeitrag von MATTHIAS HASLER.

No Man’s Sky hätte märchenhaft werden können. Ein nie dagewesenes Spielprinzip mit schier unendlicher Grösse. Wie so oft, ist die Hype-Blase aber aufgrund unerfüllter Versprechen zuerst aufgeblasen und danach geplatzt und das 15-köpfige Entwicklungsstudio Hello Games sieht sich wenig schmeichelhaften Reaktionen  gegenüber.

Am Anfang war die Weltenformel

Die Menschheit sucht schon lange nach der Weltformel, eine physikalische Formel, die alle Rätsel löst, schwarze Löcher hier und kleine Atome da in der Raumzeit mit dunkler Materie in Einklang bringen. Die Formel hat No Man’s Sky zwar nicht zu bieten, aber eine für Spieler sehr interessante Alternative: Eine Weltenformel, mit deren Hilfe man prozentuales Design ermöglicht, also generieren kann. Das Universum von No Man’s Sky, wo das Zurücklegen einer Distanz ohne Fahrzeug auf einem einzigen Planeten schon mal fünf oder neun Stunden dauert, passt prima auf die Blueray weil die Welten eben aufgrund von gewissen Prozentangaben generiert werden und nicht fix-fertig und von menschlicher Handarbeit erstellt wurden. Das Resultat ist ein begehbares Universum mit mehr als 18 Trillionen Planeten (genauer gesagt sind es 18‘446‘744‘073‘709‘551‘616 Stück und laut Herstellerangaben dauert es fünf Milliarden Jahre alle Planeten zu erkunden).
Und um eben jene Superformel wird heute vor Gericht bestritten. Eine niederländische Firma hat Hello  Games verklagt, weil diese ihre im Jahr 2003 entwickelte Superformel geklaut hätten. Hello Games wiederum sagt, dass sie die Formel selber entwickelt hätten.
Die Ursprünge der Weltenformel liegen aber nicht bei den beiden Firmen, sondern  bei Hackern oder Cracks. In den späten 80ern und frühen 90ern war es nicht unüblich, dass Spiele gecrackt wurden und als Raubkopien weitergegeben wurden, so wie das ja auch mit Video- oder Hörspiel-Kassetten getan wurde.  Das besondere war aber, dass es mehrere sich rivalisierende Gruppen gab, und die hoben nicht nur den Kopierschutz auf und erstellten Kopien, sondern veränderten die Spiele auch häufig. Einerseits mit den Trainern, mit denen man sich etwa Vorteile wie unendliche Leben ercheaten konnte und andererseits waren sie häufig so stolz auf ihre Werke, dass sie den Spielen eigene Intros gaben, mit manchmal seltsamen Botschaften. Die so  genannten Crack Intros oder Cracktos durften aber, weil es damals noch lächerlich wenig davon hatte, möglichst wenig Speicherplatz verwenden. Daraus entwickelte sich ein legaler Zweig, die Demoszene, in der es primär darum ging, möglichst visuell und musikalisch eindrucksvolle „Demos“ mit möglichst wenig Speicher zu erstellen. Ab den Nullerjahren entstanden in jener kreaktiv-versteckten Internetszene des leistungsschwachen Modems immer neuere Technologien wie eben das „Prozentuale Generieren“. Mit der Zeit wurden aber Internet und Rechnerleistungen besser, so dass die verpixelten Meisterwerke der fraktalen Kunst nicht länger nur Pixel blieben, sondern auch ansprechende Spiele möglich wurde. 2004 erschien beispielsweise das auf dieser Technologie basierende Spiel „.kkrieger“. Der Ego-Shooter besitzt beeindruckende Grafik, die etwa auch FarCry in den Schatten stellt und besitzt tatsächlich nur eine Dateigrösse von sage und schreibe 97,8kB.
Im PS4-Zeitalter ist es damit möglich, ein  ganzes Universum mit Trillionen Planeten zu füllen, ohne (bemerkbare) Ladezeiten (Funfact: Hab zuerst unabsichtlich „Leidenszeiten“ geschrieben) und mit einer zwar nicht bahnbrechenden, aber stimmungsvollen und hübschen Grafik.

Kryptisch und alleine im Universum

Der Start ins Spiel ist ziemlich kryptisch und so überhaupt gar nicht inszeniert. Man erwacht benommen neben seinem abgestützten und defekten Raumschiff auf. Eine freundliche Frauenstimme erklärt einem von zig defekten Dingen, die man hat und sich irgendwie nicht merken kann, ehe man dann endlich die Kontrolle erhält und sich frei bewegen kann. Mit dem Jetpack schwebt man kurzzeitig fröhlich vor sich hin oder mit der Laserwaffe kann man Rohstoffe abbauen. Man feuert einfach auf Eisenfelsen oder sonstige Dinge und die zerstörten Dinge geben nach kurzer Zeit automatisch ihre jeweilige Ressource frei. Und die braucht man unglaublich oft: Die Planeten können lebensfeindliche Umgebungen haben, zu heiss, zu kalt oder toxisch und der Raumanzug fällt  nach einer gewissen Lebensdauer einfach  aus. Und was tut man dann? Richtig, man setzt den Raumanzug mit Plutonium wieder in Gang.
Die Rohstoffe selbst sind  teilweise etwas gar seltsam versteckt: Blaue leuchtende Blumen enthalten etwa Platin, grüne Säulen Gold oder gelbe Blumen Zink. Die Rohstoffe werden einerseits benötigt, um neue oder bessere Ausrüstungsgegenstände für den Anzug oder das Raumschiff erstellen kann, sondern auch um eben jene Gegenstände mit Energie zu versorgen. So benötigt nicht nur der Raumanzug Plutonium, damit man fröhlich auf einem Planeten mit -70 Grad herumhüpfen  kann, sondern auch das Raumschiff, damit es starten kann. Mit dem Raumschiff kann man entweder fliessend den Planeten umfliegen oder aber ins Weltall aufstossen und neue Welten bereisen. Unterwegs sei einem dringend geraten, vorbeifliegende Asteroiden abzuschiessen oder auch auf eine beschleunigte Fortbewegung zu setzten, wenn man nicht etwa zehn Stunden lang in Realzeit zum nächsten Planeten fliegen will.
Alleine ist man aber nicht, hie und da gibt es auch Aliens, deren Sprache man durch mystische Steine erlenen will und bei denen man auch einen Ruf hat (der sich anfangs fast nur verschlechtern wird). Von ihnen erhält man Pläne und Technologien für neue Gegenstände, oder aber man kann bei ihnen Rohstoffe kaufen oder verkaufen.
Eine Story besitzt das Spiel zwar, aber die ist nicht bemerkbar, wenn man sie nicht sucht und sie scheint auch völlig irrelevant zu sein. Wobei man fairerweise auch sagen muss, dass es vermutlich etwas gar schwer sein dürfte, eine ordentliche Story auf 18 Trillionen Planeten zu verteilen, die man dann auch noch zufällig besucht.
Das Spiel löst das Dilemma dadurch, dass es im Hintergrund eine Art Zähler gibt: Wer ein Monument findet, wird beispielsweise beim ersten Mal immer das Wort „selten“ in der Aliensprache lernen und beim zweiten Mal „Warnung“. Ganz egal welches Monument man findet. Und gleich ist es mit den Dialogen in den Alienhäusern.
Wie in Metroid kann der Spieler aber seine Umgebung Scannen. Er findet Tier- und Pflanzenarten und seltsame Wesen dazwischen. Das Spiel generiert dabei automatisch einen Namen und gibt, vor allem bei Tieren, dem interessierten Spieler auch noch eine Reihe von weniger relevanten Infos à la Pflanzenfresser. Die Tiere sind dabei auch relativ selten und leben nur in kleineren Gruppen oder sogar ganz alleine.
Im Menü kann man die gefundenen Daten dann je nach Laune  umbenennen – also Tier-, Pflanzen- und Planetennamen – und diese für die eine Entschädigung in der In-Game-Währung mit dem fantasielosen Namen „Unit“ ins Internet hochladen. Besucht jetzt jemand anderes meinen Planeten, wird er meine Namen zu Gesicht bekommen, aber kann ev. noch etwas finden, dass ich nicht gesehen habe. Und hier liegt meiner Meinung nach auch die Faszination an dem Spiel: An dem Entdecken und Benennen, und an dem Drang möglichst viel selber zu entdecken, bevor andere Spieler meinen Weg kreuzen. Und dem Abwägen, wann es wohl klug wäre, weiterzureisen. Lieber einen Planeten zu 100% erkunden oder in der gleichen Zeit vier Planeten zu einem Viertel?

Die gebrochenen Versprechen

Das Spiel war vor Release ziemlich gehypt worden und wie immer wenn das geschieht, ist natürlich auch Vorsicht geboten. Selten sind Spieler so gut, wie sie angepriesen werden und es kommt hin und wieder auch vor, dass ganze Features gestrichen werden, mit denen eigentlich geworben wurde. Ausserdem sind „Videospiel-Medien“ selten wirklich so kritisch, wie es ein echtes Medium sein sollte und übernehmen lockerflockig einfach die nett geschriebenen PR-Wörter als News.
No Man’s Sky ist leider absolut so ein Fall und zwar so ein heftiger, dass erboste Fans begonnen akribisch geführte Listen zu führen, was alles versprochen oder in Trailern angepriesen wurde und es nicht ins Spiel geschafft hat. Weil sie das Ganze auch mit Quellenangaben zu Interviews oder Videos untermalen, hat der Disput schon fast wissenschaftliches Niveau erreicht. Die Gegenseite aber lässt das nicht auf sich sitzen und sucht sich Gegenbeispiele und Beweise, um die in Listen organisierten Vorwürfe zu entkräften. Weil das Spiel aber so unfassbar gross ist, und ja auch aufgrund von bestimmten Prozentsätzen generiert wurde, ist es sehr schwer feststellbar, was es wirklich im Spiel gibt und was nicht. So wurde beispielsweise ein Multiplayer-Modus versprochen, der im Spiel nicht enthalten ist. Durch Trailer wurde auch suggeriert, dass die Tiere untereinander und auch mit Pflanzen und Wasser interagieren. Aber das scheint es auch nicht ins Spiel geschafft zu haben: Die Tiere rennen höchstens schreiend im Kreis. Oder hängen an Klippen fest. Und Wasser hat es im Spiel scheinbar auch nicht.
Wesentlich schlimmer aber ist, dass wichtige Kernelemente des Spiels vollmundig beworben wurden. Das doch ziemlich flache Sammel- und Handelssystem wurde beispielsweise als „unendlich“ beschrieben oder die Interaktionsmöglichkeiten zwischen mehreren Alienfraktionen, mit denen man auch Bündnisse eingehen und Kriege führen könne. Von epischen Raumschiffschlachten zwischen verschiedenen Völkern sind nur vereinzelte Piratenkämpfe übrig geblieben und von den verschiedenen Alienrassen wohl nur eine. Auch das Erkunden der Planeten gestaltet sich wenig aufregend: Der Spieler kann überall hin und das einzige Hindernis ist die Zeit / Distanz, die man aber mit dem Raumschiff elegant umgehen kann. Ausrüstungsgegenstände wie ein Enterhaken, der einem das Vordringen in neue Regionen erlauben würde, gibt es nicht. Man kann von Anfang an überall hin. Der Fortschritt scheint spielerisch nicht wirklich erfahrbar zu sein, wenn man mal von verbesserten Laserbergbauwaffen absieht. Auch der versprochene Survival-Teil kommt kaum auf, weil die Kämpfe, gegen Drohnen  zum Beispiel, sich doch sehr begrenzt halten und man da kaum um seine automatisch regenerierende Lebensenergie fürchten muss.
Das Werben mit falschen Aussagen wäre eigentlich verboten und sogar strafbar, aber die Spieleindustrie zieht immer wieder den Kopf elegant aus der Schlinge, in dem sie die Hochglanz-Trailer als „under working process“ betiteln, also die doch deutlich besser aussehende Werbung als „Zwischenstadium“ verkaufen.
Hinzu kommt auch noch das wenig durchdachte Äussern des Firmenchefs von Hello Games, Sean Murray. Verkündete er beispielsweise kurz nach dem PS4-Release noch, dass er findet, dass die Spieler für das Spiel schon Geld ausgegeben haben und sie daher kostenlose DLCs bekommen sollten, ruderte er wenige Tage später zurück. Seine Aussage sei naiv gewesen und er könne nicht versprechen, dass es keine kostenpflichtigen Erweiterungen gäbe. Einige lustige Kommentarschreiber sprechen schon vom „One Man’s Fail“. Was es aber schon gibt, sind Patches und logischerweise schon von Tag 1 an und inzwischen sogar schon einen zweiten. „Zwischenstadium“ ist aber leider auch immer das „Endprodukt“ ehe es noch zusammen gepatcht oder gekauft werden muss.
Was das Spiel aber hat, sind einzigartige Atmosphären. Die Farben und Geräusche, die Tier- und Pflanzenwelt lassen wirklich eine gute Atmosphäre aufkommen. Giftige, hitzige, überwucherte, eisige Planeten sind allesamt anders und fühlen sich so an. Leider, so der Vorwurf der Spieler, die das Spiel schon gegen 40 Stunden gesuchtet haben, wären die 18 Trillionen Planeten aber dann doch nicht so einzigartig. Mit dem sich ständig wiederholenden Gameplay ohne echte Tiefen gäbe es, in Kombination mit den gar nicht mal so abwechslungsreichen Planeten kaum eine Langzeitmotivation. Bisher kann ich das noch nicht unterschreiben, aber ich habe es ja auch noch keine 40 Stunden gespielt.
Wie dem auch sei, fest steht, dass gegen Hello Games mittlerweile beispielsweise die britische Advertising Standards Authority, also eine Werbeaufsichtsbehörde, ermittelt, weil sie eine Vielzahl Beschwerden erreicht haben. Und glaubt man der Steam-Statistik hat das Spiel ohnehin schon über 90% der Spieler verloren. Es zeigt sich eben doch, dass selbst im Videospielmarkt nicht jede Frechheit geht.
Es wird sich wohl mit den Updates zeigen, wie mehr Abwechslung und Tiefe in das Erkunden, Sammeln, Handeln und Kämpfen gebracht werden könnte und ob die Planeten nicht vielleicht auch noch spielerisch etwas mehr Abwechslung bieten könnten. Für die PC-Version gibt es übrigens schon erste Mods. Und aller Kritik zum Trotz: Für einen ersten Wurf, ist das Spiel wirklich fantastisch, wenngleich es trotzdem eher eine Tech-Demo bleibt.

Dieser Beitrag wurde von Yoshi geschrieben und am 10. Oktober 2016 um 11:30 veröffentlicht. Er ist unter Reviews abgelegt und mit , getaggt. Lesezeichen hinzufügen für Permanentlink. Folge allen Kommentaren hier mit dem RSS-Feed für diesen Beitrag.

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