Von JÁNOS MOSER.
„Die Hauptfunktionen der Literatur haben in der Kultur keinen Ersatzcharakter. […] Analog dazu sollte die unheimliche Literatur, um nicht Ersatzfunktionen zu erfüllen, auf billige Reize verzichten und die Mühe einer tieferen Durchdringung der Erscheinungen auf sich nehmen, das heisst die Sphäre des Unheimlichen nicht mit den Methoden des Produktionsromans angehen, sondern mit denen der anthropologischen Erkundung. Natürlich müsste sie dann ihren Akzent vom märchenhaften Grusel der Wunderdinge auf deren echten sozialpsychologischen Hintergrund verlagern.“ (Stanislaw Lem im Nachwort zu Stefan Grabinskis Das Abstellgleis, 1974)
Ja, ja, unser Stanislaw und seine Ansprüche. Was uns heute unterkommt, würde dem Science Fiction-Autor die Haare zu Berge stehen lassen. Gemeint sind die Gespenstergeschichten, eine regelmässig erschienene Comicreihe des Bastei-Verlags. Die langlebige Serie (1974 – 2006) war eine der erfolgreichsten Comicreihen im deutschsprachigen Raum. Insgesamt 1654 Ausgaben wurden produziert, Nachzügler wie Geisterjäger John Sinclair und Maddrax: Die dunkle Zukunft der Erde lebten noch bis ins neue Jahrtausend von der Bekanntheit der geisterhaften Originalreihe. Es gab Taschenbuchformate, Grossbände und Spezialausgaben. Allen gemeinsam war der Inhalt: In kurzen Comicgeschichten von etwa acht Seiten Länge wurden gruselige oder unglaubliche Begebenheiten erzählt. Das Figurenrepertoire reichte von Hexen über Dämonen und Zauberern bis hin zu den obligatorischen Gespenstern. Opfer dieser netten Gesellen waren meist ahnungslose Amerikaner, Spiessbürger oder Persönchen aus vergangenen Epochen. Die Geschichten begingen jeden Fehler, den eine ernstzunehmende Gruselstory nur begehen kann: Geister werden effektvoll vorgeführt, Dämonen sprechen sauber akzentfrei und die Hexen sorgen eher für sehnsüchtige Jugendträume als Gänsehaut. Zu allem hinzu ist das Böse erstaunlich moralisch; zumindest trifft es Diebe, Mörder und sonstiges Gesindel immer am härtesten. „Billige Reize“ allemal, wohin man sieht (und Sexappeal). Vielleicht aber möchten die Gespenstergeschichten auch gar nicht so ernst genommen werden, wie es scheint. Manches Machwerk zeugt von Humor, wie zum Beispiel jene Persiflage von Christmas Carol, wo Scrooge bis zuletzt Menschenfeind bleibt. In manchen Storys stellen sich grässliche Monster auch als freundliche Mitbürger heraus, und nicht immer schlägt das Unheil erfolgreich zu. Die beste Geschichte aus den unzähligen Ausgaben herauszupicken ist wohl unmöglich. Gerne aber erinnert man sich an jene Story, wo ein Schwächling in eine Fantasywelt gezogen wird, wo er den Helden mimt und eine Monsterinvasion zurückschlägt. Im Gegenzug hilft ihm die Prinzessin des verwunschenen Landes, seine Probleme in der „echten“ Welt gebacken zu kriegen.
In den frühen Ausgaben begnügten sich die Macher des Heftes meist damit, Geschichten von amerikanischen Zeichnern nachzudrucken. Später kamen auch originale Werke von spanischen und argentinischen Künstlern hinzu. In der letzten Phase des Hefts (ab den 1990ern) wurden alte Storys vielfach in veränderter Zusammenstellung nachgedruckt. In den 1980ern entwarf auch der Schweizer Hansrudi Wäscher (*1928) einige Beiträge. Der für Serien wie Falk, Akim und Roy Stark bekannte Zeichner gilt einigermassen als Grösse in der deutschsprachigen Comicwelt und besitzt seit den Neunzigern einen Fanclub von über 150 Mitgliedern. Dem Prinzip der Gespenstergeschichten, man mag es verteufeln oder nicht, folgen nach wie vor die meisten heutigen Horrorgames. Die gut designten Monster nicht zu zeigen, geht doch irgendwie schlecht, wo man doch alle Mühe auf sie verwendete. Das ist nichts Schlimmes; denn solange es einigermassen in den Bann zieht, funktioniert es und man bleibt trotz Dauerzombiegestöhne vor dem Bildschirm sitzen. Versuche in die Richtung, wie sie Lem vorschwebt, wurden wohl mit Silent Hill gemacht, wenn auch da nicht immer Metaebenen durchscheinen. Einen Vorstoss ins entgegengesetzte Extrem, das heisst des Trashigen, wurde jüngst in Ansätzen wohl dank Deadly Premonition gewagt.
Was allerdings die Literatur angeht, fällt Lems Fazit schon vor dreissig Jahren wenig ermunternd aus: „Das oben Gesagte erklärt, worauf heute die Wehrlosigkeit des literarischen Grusels und des Unheimlichen beruht. Wenn solch eine Geschichte nicht entsetzt, langweilt sie; wenn sie ihren Leser nicht bis ins Mark erschüttert, bewegt sie ihn überhaupt nicht. Darum erlag diese Literatur im Laufe der Jahre einer fortschreitenden Degradierung. Man konnte in ihr immer weniger ernst genommene Geheimnisse antreffen und immer mehr Tricks, Karten- und Zirkuskunststücke.“
Na dann. Dann hoffen wir, dass Gamestorys das Steuerrad noch herumreissen können. Wobei diese Gespenstergeschichten eben doch verflucht Spass machten.