Gastbeitrag von MATTHIAS HASLER.
Im Dezember erschien „The Last Guardian“ exklusiv für die PS4, nachdem es seit 2007 in Entwicklung war und gar seit 2005 geplant. Man muss sich das mal vorstellen: Damals erschien noch der erste Witcher-Teil, das allererste Iphone wurde vorgestellt (was mich doch sehr verwirrt hat, weil es keine Knöpfe mehr besass…) und Harry Potter und der Orden des Phönix kam in die Kinos. Was taugt das Spiel, das so einzigartig sein möchte und das von Fans schon als „Meisterwerk“ gefeiert wird?
Die Entwicklerodyssee
Warum aber war das Spiel so lange in Entwicklung? Das liegt zunächst auch an dem Entwicklerstudio, dass sich damals im Wandel befand.
Verantwortlich war die japanische Spieleschmiede „Team ICO“, bekannt für PS2-Perlen wie „ICO“ oder „Shadow of the Colossus“. Der leitende Entwickler, Fumito Ueda, verliess aber das Studio und gründete mit „gen DESIGN“ ein eigenes Studio. Auch seine Mitarbeiter folgten ihm, so dass „Team ICO“ aufgelöst werden musste. Vertraglich waren aber Ueda und Sony an das Spiel gebunden, sodass Ueda im neuen Studio daran weiterarbeiten konnte.
Zu weiteren Verzögerungen kam es, weil sich schliesslich Ueda und Sony nicht mehr einig waren, für welche Plattform das Spiel erscheinen soll. Publisher Sony bevorzugte die PS4, um gleich zu Beginn einen starken Exklusiv-Titel zu haben, während Ueda das Spiel noch für die PS3 veröffentlichen wollte. Dazu kamen, je länger je mehr, Bedenken anderer Art: Das Spiel war 2009 erstmals vorgestellt worden, aber seit 2010 hatte es keine offizielle Kommunikation bezüglich des Spiels mehr gegeben. Die meisten rechneten längst damit, dass das Spiel gecancelt ist. Ausserdem würde man dem Spiel sein Alter anmerken: Ein für 2010 konzipiertes Spiel hatte die Entwicklungen der Gamebranche seit jenem Datum eben nicht mehr mitgemacht. Ein noch grösseres Problem war aber die Tatsache, dass der inoffizielle Vorgänger 2005 erschienen war und mangels Remakes heute nicht mehr ein Begriff ist, anders als 2005, als es absoluter Kult war. Ebenfalls hatte das Spiel längst kein einzigartiges Konzept mehr. Das Thema der emotionalen Bindung zwischen dem Spieler und einer Spielfigur waren in den neun Jahren längst umgesetzt.
Mit dem Entscheid, dass das Spiel für die PS4 und nicht mehr für die PS3 erschienen sollte, musste das Spiel aber natürlich auch langwierig für die PS4 portiert und logischerweise auch grafisch überarbeitet werden.
Aber irgendeinmal war es geschafft, und das Spiel konnte trotz aller Widrigkeiten fertiggestellt und veröffentlicht werden.
Das Biest
Die Erzählweise ist nach wie vor gelungen und orientiert sich auch stark an „Shadow of the Colossus“. Der Spieler wird in einen Kosmos geworfen, den er nur Stück für Stück zu verstehen lernt. Wie in einem guten Buch oder Film werden die Zusammenhänge, durch das Einsetzen der Puzzleteile, erst allmählich klar.
Der Spieler findet sich anfangs in einer Höhle wieder, bewusstlos und ohne Erinnerungen. Und mit neuen Tattoos. Gleich daneben schläft Trico, ein Fabelwesen, und es ist schwer verletzt.
Die Stimme aus dem Off, das zukünftige Ich des Jungen als Mann, beginnt die Geschichte zu erzählen. Er ergreift immer mal wieder das Wort, um die Geschichte weiter zu führen oder den Spieler charmant darüber aufzuklären, dass er ein Rätsel falsch angeht.
Trico, der von der Off-Stimme immer nur „das Biest“ genannt wird, ist ein Mischwesen. Es geht und springt wie eine Katze, winselt und bellt wie ein Hund. Es besitzt Schwingen und Federn und sein Hinterteil erinnert teilweise auch etwas an eine Ratte.
Seine Augen schimmern immer in anderen Farben auf, je nach Stimmung. Neutral ist etwa schwarz und farblos im Freien oder Blau im Schatten. Und sieht er Rot, dann ist er aggressiv. Das Biest, es schwankt zwischen dem bedrohlich-gruseligen Raubtier und der süssen Schmusekatze hin und her, ein insgesamt sehr gelungener Spagat.
Kernstück des Spiels ist logischerweise die Interaktion zwischen dem Jungen und dem Biest, welches ein vollständiges Eigenleben besitzt. Es ist sogar in der Lage sein Geschäft zu machen und wer es dabei erwischt, erhält eine Trophäe (und kann die Ausscheidungen wenn gewünscht noch durch die Gegend werfen…).
Wesentlich zentraler ist aber die Abhängigkeit vom Biest. Es ist etwa in der Lage, über grosse Distanzen hinweg zu springen und gegen Ende des Spiels erlernt es sogar wieder zu fliegen. So klettert man etwa mit seiner Hilfe durch zerstörte Tempel oder Höhlen oder nutzt seine zerstörerische Kraft geschickt, um neue Wege freizulegen.
Die möglichen Aktionen, die man dem Biest mit der leider grauenhaften Steuerung geben kann, werden erst Stück für Stück erweitert. Kann man ihm zunächst nur die grobe Richtung vorgeben, in welches gehen soll, kann man es später auch attackieren oder springen lassen. Sogar das „Männchen-machen“ ist möglich.
Rudimentäre Aktionen mit Rätsel
Und hier ist auch der Knackpunkt. Nicht nur, dass das Biest über ein Eigenleben verfügt und manchmal lieber herumsitzt oder weg geht, es ist auch nicht das Intelligenteste. Steht es nicht präzise vor – sagen wir mal einem Block zum Springen – dann wird es nicht verstehen, dass es auf den Block springen muss und stattdessen nur verwirrt die Gegend analysieren oder gar genervt fauchen. Nicht nur das Erkennen der Umwelt um zu sehen wie man mit ihr interagieren kann, gehört zum Gameplay, sondern auch wie man das Biest am besten steuern kann und wie es zu uns sprechen möchte. Weniger ist tatsächlich mehr, denn wenn man wild drauf los smasht in der Hoffnung, dass das Biest endlich versteht, was man von ihm will, dann wird es wütend und verwirrt.
Dieses Gameplay schwankt irgendwo zwischen genial und nervtötend, wenn man ehrlich ist, denn nicht immer verfügt man zwingend über die Geduld, welche das Biest einem abverlangt. Insbesondere wenn es wieder zurückgeht statt vorwärts zu gehen. Es ist eine mutige und auch einzigartige Entscheidung, dem Spieler nur so indirekt und halbwegs die Kontrolle über den wichtigsten Akteur des Spiels zu geben, aber sie ist nur teilweise gelungen, was auch an der mühsamen Steuerung liegt.
Aber auch der Junge kann selbständig mit der Welt interagieren und seine Rätsel sind oft so simpel und rudimentär wie die Aktionen mit dem Biest. Wobei man präziser sagen muss, dass die Interaktionsmöglichkeiten zwar simpel sind, aber die Rätsel selbst das nicht sein müssen. Mal etwa ist man in einem runden Käfig gefangen und muss trotz geduldraubender Steuerung irgendwo hin rollen, ein andermal schnuppert das Biest süchtig machende Dämpfe ausserhalb seiner Reichweite und ist nicht mehr in der Lage sich davon zu lösen, weshalb man die Dämpfe etwa abschliessen muss. Die Rätsel sind zwar sehr „Basic“ gehalten, aber stets abwechslungsreich und sie wiederholen sich nicht direkt, sondern höchstens variiert. Tatsächlich ist es auch sehr schön, wie simpel diese Rätsel gehalten werden. Keine grosse Mechaniken oder Konstruktionen, sondern simple Logik und Geschick sind gefragt. Die Konzentration auf das wesentliche passt ideal zur Erzählweise und dem Gameplay und tut dem Spiel gut. Ein ungewöhnliches Element, dessen man sich zunächst natürlich nicht bewusst ist, ist auch die Tatsache, dass man in gewisse Gebiete zurückkommt. Scheinbar sinnlose Dinge, die einem beim ersten Betreten des Gebietes nur verwirren, ergeben plötzlich einen Sinn, wenn man wieder dort ist und etwa neue Befehle für das Biest gelernt hat.
Die Roboter mit ihren Türen
Aber natürlich besteht das Spiel nicht nur aus fröhlichem Hüpfen, Klettern und Rätselraten, sondern auch aus immer heftiger werdenden Kämpfen.
Gegner des Spiels, dessen Setting ja in einer gigantischen Stadtruine liegt, sind ritterhafte Roboter, die zum Leben erwachen.
Im Kampf gegen die Roboter findet übrigens ein gleichermassen schöner wie auch subtiler Übergang statt.
Zunächst sind die waffenlosen Roboter danach aus, den Jungen zu packen und hinter eine ominöse Tür zu bringen. Bekämpfen kann der Junge sie nicht, er ist auf das Biest angewiesen, in dem er etwa auf es klettert und es die Roboter zerstören lässt.
Später sind die Roboter aber bewaffnet und der Spieler wird sich reflexartig ebenfalls zurückziehen, um den Kampf dem Biest zu überlassen. Aber tatsächlich erhält der Junge im Laufe des Spiels immer mehr unerklärte Möglichkeiten, wie er sich aktiv in den Kampf gegen die Roboter einbringen kann. Er kann sie etwa rammen, damit sie ihre Speere oder Schilde fallen lassen. Er kann sich auch an ihnen festklammern, um sie zu lähmen oder schlussendlich ihnen sogar den Helm / Kopf abziehen, damit sie sterben. Anfangs wirken die Kämpfe lahm und sind von Flucht geprägt, aber mit dem Spielefortschritt werden sie attraktiver und bieten dem Spieler mehr Handelsspielraum. Alles in allem sind sie, wie in diesem Spiel üblich, einfach anders inszeniert und fühlen sich trotzdem gut an.
So oder so besitzt jeder Kampf immer auch noch eine Art „Nachbereitung“. Die Speere im Fleisch des Biests müssen herausgezogen und das aufgebrachte Wesen mittels Streichen beruhigt werden. Dass die Roboter übrigens den Jungen scheinbar nicht töten, sondern nur entführen wollen, ist ein wichtiges Storydetail, dessen Grund einem erst am Schluss offenbart wird.
Das Biest ist kein Überflieger
Ziel des Spieles ist es, aus der Ruinen-Stadt zu fliehen, wobei einem durch das sich veränderte Setting überhaupt erst später klar wird, wie diese Stadt geografisch gelegen ist und was die einzige Möglichkeit der Flucht darstellt.
Die wahren Hintergründe der Geschichte werden erst kurz oder während des Finales enthüllt und befriedigen zusammen mit dem Abspann (nach den Credits!) das Erklärbedürfnis vollständig, wobei es durchaus auch Raum lässt für eigene Interpretation.
Die Freundschaft mit dem Biest liegt ganz klar im Zentrum: Man rettet und pflegt sich gegenseitig, um die Bindung zu stärken. Stellenweise werden solche Szenen durch die „hyperdramatische Sekunde“ vor der Rettungsaktion etwas weniger dramatisch, aber zu sehen, wie sich die Zuneigung des Biests stetig steigert, ist auch ein schönes Erlebnis. Am Ende kommt es sogar von sich aus um etwas zu schmusen, ganz wie eine Katze. Oder es packt den Jungen, wenn es etwa denkt, dass er zu nahe an einem Abgrund steht, und stellt ihn in sicherer Distanz zu dem Abgrund wieder ab.
Das Setting, dessen Ästhetik sich eindeutig an „Shadow of the Colossus“ anlehnt, ist im übrigen gelungen. Liegt aber vielleicht auch daran, dass ich selber es einfach liebe, wenn antike Ruinen mit Science Fiction gepaart zum Leben erwachen. Die auf Emotionen getrimmte, stellenweise auch düstere Erzählung (der Filmkritiker würde naserümpfend „viel Pathos“ feststellen) überzeugt ebenfalls durch ihre stille und indirekte Erzählweise, insbesondere das aus Spoilergründen nicht hier nicht näher erklärte Ende des Spiels. Die Grafik schwankt ebenfalls zwischen altbacken und genial hin und her, etwa die Schattenwürfe sind sehr gelungen, ebenso wie die Lichteffekte am Fell oder Gefieder des Biestes.
Was kann also das Fazit sein? Ist das Spiel ein solches Meisterwerk, wie es von manchen angepriesen wird? Nun, wenn man unter einem Meisterwerk versteht, dass sämtliche Belange eines Spiels meisterhaft umgesetzt sind, dann muss dies klar verneint werden: Die Steuerung ist ebenso wenig meisterhaft wie die Kamera und das sind doch eigentlich recht elementare Dinge für ein Spiel. Die Grafik ist stimmig und schön, schwankt aber qualitativ. Ebenso wie das Gameplay zwischen Spass und Nerven hin und her schwankt, und ein Meisterwerk sollte nicht schwankend sondern konstant sein. Die Atmosphäre ist dafür meisterhaft. Die Story ist zwar auch meisterhaft erzählt, entfaltet sich aber erst in den letzten Stunden, und wenn wir schon beim Ende sind: Für ein Meisterwerk wäre das Ende auch deutlich zu schnell erreicht.
Es schadet aber sicherlich nicht, dass Spiel seiner Sammlung hinzuzufügen. Es ist sehr eigenständig und anders und wer die Geduld aufbringen will sich mit dem eigensinnigen Biest herumzuschlagen und die Zusammenhänge des Spiels kennenzulernen, der wird ein gutes und trotz all der aufzubringenden Geduld ein überdurchschnittliches Spiel bekommen. Man mag’s oder man mag’s nicht, das ist bei diesem Spiel einfach so.