Von JÂNOS MOSER.
Woraus sind Spiele eigentlich gemacht? Die Frage, worüber sich Theoretiker den Kopf zerbrechen, hat in der Praxis eine Antwort gefunden – WarioWare. Was an illegale „warez“ erinnert, ist neben Reihen wie Mario Party inzwischen zu einem von Nintendos zahlreichen Zugpferden mutiert. Mit vielen Ablegern nicht nur für den GBA, sondern auch für DS und Wii ist die wahnwitzige Reihe rund um Marios Erzfeind aus der Spielelandschaft nicht mehr wegzudenken. Was ist WarioWare? Und warum sollte das etwas mit der Art zu tun haben, wie wir Spiele verstehen und definieren? Ein kleiner Überblick soll Licht ins Dunkel bringen.
Firma
Rahmenhandlung? Ja, da gibt´s was. Wario sieht Fern, als ihm eine Videospielwerbung einflüstert, das grosse Geld mit Spielen zu machen. Er kauft einen Laptop, setzt sich ran und schläft nach fruchtlosen Programmierversuchen ein. Dafür kommt ihm nach dem Aufwachen die Idee. Zukünftig sollen für seine neu gegründete Spielefirma seine Kumpels das Entwickeln übernehmen. Die da sind: Ein Alien, ein Discotänzer, zwei Ninjas, ein Cyborg-Professor, eine Glacéverkäuferin, ein Hund und eine Katze und ein Nintendo-Enthusiast. Bei so unterschiedlichen Charakteren ist das Resultat nur logisch: Statt ein grosses Spiel warten um die zweihundert sogenannte „Mikrospiele“ auf ihre Opfer. Spiele mit einer simplen Steuerung (mehr als den A-Knopf und das Steuerkreuz braucht es nicht), die in einem Zeitlimit von höchstens fünf Sekunden erfolgreich zu absolvieren sind. Die Geschwindigkeit der blitzartig aufeinanderfolgenden Spiele erhöht sich kontinuierlich, und je nach Schwierigkeitsgrad gibt es nach zehn bis fünfundzwanzig Minigames ein „Boss-Spiel“, das mehrere vorhin ausgetesteten Spielmechaniken in sich vereint. Simpel? Ja. Spassig? Doppeltes und dreifaches Ja! Um die Sache geschmacklich abzurunden, hat jeder Charakter ein eigenes Minispiel-Thema. Trifft man beim Nintendo-Enthusiasten verständlicherweise auf Mikro-Ausschnitte der alten Klassiker, lädt das Alien zu Knobelspielen ein (was?), Hund und Katz zu SciFi (wie bitte?) oder der Discotänzer zu Leichtathletik (äh …?). Und warum springt Wario in ein Radio hinein? Oder wieso mündet der Erhalt einer SMS in einem Mikrospiel? Die Rahmenhandlung, wenn man es so nennen darf – die Charaktere werden in den kurzen Pausen zwischen den Spielen eingeblendet –, ist mehr als skurril. Sie dient denn auch mehr schlecht als recht dazu, irgendeinen Sinn, eine Verbindung zwischen den Spielen herzustellen. Das ist aber auch gar nicht wirklich nötig. Was uns interessiert, sind die Mikrospiele selbst.
Simpel
Diese bilden das Kernstück des Spiels und sind in ihrem Einfallsreichtum nicht zu überbieten. Mal springt man über Hürden, mal ist Nasenbohren angesagt oder das Stoppen eines Kreisels im richtigen Augenblick. Spiegelei kochen, Baumstämme zerteilen, Steak zerschneiden, Auto zusammenbauen, Apfelbaum schütteln, nahezu alle vorstellbaren (nicht)alltägliche Situationen sind vertreten. Zu Beginn wird einen die wahre Flut an Ideen schnell erschlagen. Erst nach und nach findet man sich ein und vermag die eine oder andere Stage auch mal nur mit einem Lebensverlust zu meistern. Dem zu verdanken ist die annähernd logische Fiktion, die mit einer ebenso verständlichen kleinen Aufgabe zusammenfällt. Wir sehen einen Karatemeister breitbeinig mit erhobener Hand vor einem Stück Holz stehen – aha, wir müssen das Holz zerteilen. Ein Skifahrer saust den Hang hinab auf eine leuchtende Stelle im Schnee zu – aha, da müssen wir springen. Als zusätzliche Hilfestellungen wird zu Beginn jeden Mikrospiels kurz ein Hinweis auf die Aufgabe gegeben, in Form von Ausrufen wie „Springe!“, „Teile!“, „Wasche!“, „Schüttle!“. Nach einem oder zwei Anläufen ist die Aufgabe klar, die Spielsituation verständlich. So und nur so kann WarioWare in dieser Geschwindigkeit überhaupt funktionieren. Bei erhöhtem Schwierigkeitsgrad und Tempo auf Maximum kommen selbst geübte Spieler gehörig ins Schwitzen – bis man das Ende sieht, gehen einige Nerven flöten. Dafür lädt WarioWare auch nach langer Zeit zu immer neuen Runden ein. Schliesslich wollen Highscores geknackt werden.
Zeitnot
Fünf Sekunden für ein Spiel, fünf Sekunden, um zu begreifen, worum es überhaupt geht. Welchen Charakter steuere ich? Was passiert, wenn ich auf dem Steuerkreuz nach rechts oder links drücke? Wozu dienen die Schultertasten? Muss ich den A-Knopf mehrmals hintereinander oder nur einmal drücken? Bringt der B-Knopf überhaupt etwas? (In den meisten Fällen nicht). Blitzspiele erfordern Blitzreaktionen. Dabei entgeht uns oft, womit wir es hier zu tun haben. Auf raffinierte Weise nämlich wird uns vor Augen geführt, in welche Bestandteile ein Spiel an sich zerlegt werden kann. Wie bereits angedeutet, besteht jedes Mikrospiel aus einer eigenen, kleinen Fiktion – Figuren oder abstrakte Objekte in einer mehr oder weniger erkennbaren Umgebung – und einer Aufgabe. Die Figuren und Objekte müssen geschrubbt, gestochen, gerubbelt, gezogen, verzerrt oder gebügelt werden. Das Spielziel: Die Aufgabe innerhalb der gegebenen Zeit zu lösen. Besonders interessant wird WarioWare, wenn wir vor Alltagssituationen gestellt werden. Homo ludens – das Zähneputzen wird zum Spiel. Und das, obwohl der „Spielvorgang“ des A-Knopf-Drückens mit dem „realen Vorgang“ des Bürste-über-die-Zähne-Streichens erstaunlich viel gemeinsam hat. Einen noch tieferen Einblick bieten die Boss-Spiele. Hier wird jeder Mikrobaustein eines „normalen“ Spiels grell sichtbar gemacht und verleitet zu weiterführenden Überlegungen. Ein Spiel wie Super Mario Bros. zum Beispiel scheint aus den Mikrospielen „Spring!“, „Sammle!“, „Lauf!“ und „Weich aus!“ zu bestehen. Zusammen ergeben sie eines der bekanntesten Games, die je auf den Markt kamen. „Ist es das?“, fragt man sich da. „Ist das alles? So einfach?“ WarioWare zeigt die Antwort auf: Ja, ist es.
Hinhalten
Wenn jedes Spiel uns nun im Grunde genommen mit so einfachen Mitteln hinhält, lohnt es sich dann überhaupt noch, weiter über Spiele nachzudenken? Oft erscheinen die einfachsten Wahrheiten die grausamsten, nichtsdestotrotz wäre es falsch, im Pessimismus zu versinken. Gerade, weil die Mikrobestandteile eines Spiels so verblüffend klein sind, laden sie dazu ein, darüber nachzudenken, was Spiele und Nicht-Spiele ausmachen. Was unterscheidet denn nun eigentlich das WarioWare-Spiel „Zähneputzen“ vom „richtigen“ Zähneputzen? Statt einer Bürste in der Hand habe ich den Daumen über den Knopf, statt Armbewegungen zu machen, hämmere ich mehrmals auf die Tasten ein. Zeitlimit habe ich keines, aber damit die Zähne sauber werden, sollten es schon etwa fünf Minuten sein. Bleibt der fiktive Rahmen des Spiels – wenn ich bei WarioWare verliere, habe ich nachher keinen Karies, wenn ich es dagegen versäume, meine Zähne zu putzen, bekomm ich bald die Dritten. Videospiele sind das Leben mit Seifenblase drum rum. Jetzt ab in den Supermarkt. Auf zur nächsten Minigame Mania.