Von JÁNOS MOSER.
Warum die Schweizer Band Equus ihrem ersten Album von 2008 den Namen „Eutheria“ gibt, ist erst einmal leicht ersichtlich: Das Pferd, lateinisch Equus, zählt zu den höheren Säugetieren – Eutheria. Die Tracklist spricht in ähnlicher Sprache: Der erste Track, Hyracotherium, bezeichnet eine ausgestorbene Gattung der Unpaarhufer aus dem Paläogen (Wiki), der zweite Track ist nach Orrorin Tugenensis, einer ausgestorbenen Art der Menschenaffen benannt, und das letzte Stück trägt schliesslich den Namen Epona – die Pferdegöttin. Bis auf letztgenannten Namen hat dieses Album von 2008 nichts mit Videospielen gemein (bzw. Links Reitpferd). Scheinbar auch nichts direkt mit dem Theaterstück „Equus“ von Peter Shaffer. Das macht aber nichts – denn schliesslich sind wir hier auf FreiemFeld, und diese drei nahtlos ineinander fliessenden Songs (der längste davon dauert 31 Minuten) sind eine Klasse für sich. Was das Genre angeht, könnte man die Scheibe wohl am ehesten dem Postrock zuordnen – und doch ist die Musik düsterer und versponnener als so ziemlich alles, was das Genre zu bieten hat. Drei Monolithen, die dem Progrock der Siebziger huldigen würden, wären sie nicht so knochig, minimalistisch. Beim erstmaligen Hören werden vielleicht Assoziationen mit Mogwais berühmtem Album Come On Die Young wach. Doch während dieses zuweilen in Gefahr läuft, nichtssagend vor sich hin zu plätschern, droht Equus nie abzudriften, trabt wie ein abgemagerter, schwarzer Gaul auf seiner letzten Reise vorwärts. Sein einsames Wiehern weht über die Heide, mal nah, mal fern, hinter einem Regenvorhang verschwindend. Man fühlt sich als Beobachter eines Todesschauspiels, den kalten Winden ausgesetzt, mitten auf der Heide stehend. Woher kommt das Pferd, wohin geht es? Oder ist es nur ein hinwegschwebender Geist, der einen ins Jenseits führt? Eine Einbildung? Gitarrenläufe spielen um das immer wieder hervorbrechende Mellotron herum, das den Grundton vorgibt. Das Album versetzt einen in eine schweigende, düstere Trance. Postrocktypisch wird (bis kurz vor Schluss) kein Wort gesungen, es ist ein Auf und Ab von klanglichen Turmbauten, emporschiessend und in sich zusammenstürzend, nie so pompös wie Godspeed You! Black Emperor, aber ebenso rätselhaft, eindringlich. Fast schon will man das, was diese Band spielt, keine Musik mehr nennen – sondern ein künstlerisches Statement zu – was eigentlich? Die Titel lassen nicht mehr als Deutungen zu. Wird hier Menschheitsgeschichte abgewickelt? Mensch und Pferd in ewiger Entwicklung, Beziehung zueinander? Ist es die Melancholie, die in dieser Beziehung steckt? Oder das doch-nie-ganz-verstehen-können? All diese Fragen scheinen in der Huldigung an Epona zu münden, die Pferdegöttin, die wir uns erschaffen haben. Ob sie uns jemals antwortet? Warum haben wir sie erschaffen? Wir werden es wohl nie erfahren. Doch wird man nach dem Hören dieses Albums die Tiere – und vielleicht sich selbst – aus einem tieferen Blickwinkel sehen.